Anikó Merten: Die ersten Wochen im Bundestag

Es ist der Abend der Bundestagswahl 2021, 18:00 Uhr. Die Ereignisse überschlagen sich. Nach 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierung stehen die Zeichen deutlich auf Kurswechsel. Die ersten hochrangigen Politiker trudeln vor den Kameras der Fernsehstudios der Republik ein. Einschätzungen werden getätigt, Freude und Dankbarkeit bekundet, Fehler vorsichtig eingestanden. Es ist wahrhaftig ein historischer Moment. Als FDP haben wir allen Grund zur Freude: Nach ersten Hochrechnungen liegen die Liberalen bereits um 18:00 Uhr am Wahlabend bei über 10 %.
Für mich hat diese Bundestagswahl natürlich noch eine ganz persönliche Bedeutung. Reicht es für die FDP in Niedersachsen, habe ich die Chance über die Landesliste in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Den Deutschen Bundestag! Dennoch, Berlin scheint an diesem historischen Sonntagabend noch weit weg von Braunschweig, wo ich das Spektakel gemeinsam mit dem Kreisverband in einem Restaurant verfolge. Tatsächlich heißt es sich in Geduld üben. Es folgen eine unruhige Nacht und eine SMS von Konstantin Kuhle um 6:24 Uhr am nächsten Morgen: Ich bin Mitglied des 20. Deutschen Bundestages. Meine ersten Gedanken: Überwältigung, Dankbarkeit, Freude, Demut – wie könnte es auch anders sein? Erstmals seit Jahren sieht es so aus, als könnte sich der FDP wieder die Möglichkeit zu aktiver politischer Mitgestaltung auf Bundesebenen eröffnen. Und ich bin dabei!
Doch es bleibt kaum Zeit diese großartige Nachricht mental zu verarbeiten. Noch am Montag ist die erste Fraktionssitzung in Berlin anberaumt! Ich springe also auf den ersten Zug in die Bundeshauptstadt auf, den ich erwische. Seitdem hat sich mein Leben grundlegend verändert. Keine 24 Stunden nach der Schließung der Wahllokale wählen wir in Berlin den Fraktionssitzenden, den Fraktionsvorstand, entscheiden über Geschäftsordnungen und Rechtsnachfolge. Ich bin nun Bundestagsabgeordnete, Arbeitgeberin, brauche Büroräume, Telefone, Mitarbeiter, vielleicht sogar ein Faxgerät? Doch zum Glück ist man nicht alleine. Die Fraktion und die Kollegen aus der Landesgruppe Niedersachsen bieten großen Rückhalt. Matthias Seestern-Pauly und Jens Beek opfern sogar einen ihrer Büroräume für mich und meine Mitarbeiter. Es ist noch zu eng und es gibt zu wenige Schreibtische, aber ich bin dankbar und die Bundestagsverwaltung arbeitet mit Hochdruck an der Neuaufteilung der Büros.
Bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestages am 26. Oktober 2021 bleibt dann doch noch etwas Zeit sich auf diese ehrenwerte Aufgabe angemessen vorzubereiten. Mit den neuen Abgeordneten der Fraktion geht es in der Bundeshauptstadt ins „Boot-Camp“. Berlin ist manchmal ein heißes politisches Pflaster – wir werden vorbereitet auf die Kommunikation mit der Hauptstadtpresse, die Arbeit im Abgeordnetenbüro, die parlamentarischen Prozesse im und rund um das Plenum des Bundestages. Es ist viel auf einmal, aber so langsam lichtet sich das Dickicht.
Und am 26. Oktober ist es dann endlich so weit. Gemeinsam mit 736 Abgeordneten konstituiert sich unter der Kuppel des Reichstages der 20. Deutsche Bundestag. Es ist ein weiterer historischer Moment nach diesen denkwürdigen vier Wochen, in denen in der Republik hinter verschlossenen Türen bereits hart um die politische Neugestaltung der kommenden 4 Jahre gerungen wird. Ich selbst bin noch immer überwältigt, ein Teil davon sein zu dürfen. Herzlichen Dank für Euer Vertrauen. Ich freue mich sehr auf die nächsten 4 Jahre!