FDP fit for 2030: Alles lässt sich ändern
Der Landesparteitag hat beschlossen:
Alles lässt sich ändern. Diesem Anspruch, den wir an das Land und seine Politik
stellen, müssen auch wir als Partei auf Landes- und Bundesebene gerecht werden.
Der organisierte Liberalismus in Deutschland befindet sich am Scheideweg. 2017
als moderne Partei der Aufbruchsstimmung neu gestartet, erfolgt jetzt die
Bruchlandung. 2021 als Bürgerrechtspartei während der Corona-Pandemie mit einem
ganzheitlich liberalen Profil zur Regierungsbeteiligung beauftragt, folgt bei
der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 mit 4,33 Prozent das schlechteste
Ergebnis der Parteigeschichte und ein klares Wählervotum gegen eine FDP, der in
keinem relevanten Politikfeld Kompetenz und Vertrauen zugestanden wird.
Wie bereits 2013 bedarf es daher einer ausführlichen und ehrlichen Fehleranalyse
sowie personeller, struktureller und kommunikativer Konsequenzen. Im Fokus
stehen das Regierungshandeln der FDP in der „Fortschrittskoalition“ und der
Bundestagswahlkampf 2025. Doch die Krise reicht tiefer: Die katastrophalen
Ergebnisse bei Landtagswahlen – bei denen SPD/Grüne immerhin einzelne (Achtungs-
)Erfolge feiern konnten und vor allem die FDP stets heftige Pleiten erlebt hat –
zeigen, dass der Liberalismus insgesamt unter Druck steht. Die Jahre 2024/25
sind nicht der Ursprung, sondern der Höhepunkt einer jahrelangen Fehlerkette.
Einzelne Fehlentscheidungen, die im politischen Tagesgeschäft oft unbemerkt
blieben, haben sich zu einer Dynamik entwickelt, die die FDP aus dem Bundestag
gefegt hat.
Doch anders als 2013 haben wir dieses Mal ein Grundgerüst zur Orientierung:
unser Leitbild. Wir können und sollten auf dieses Leitbild aus der Zeit der
ersten außerparlamentarischen Opposition aufbauen. Die FDP muss unser Leitbild
auffrischen, verstetigen und zu einem überzeugenden liberalen, seriösen und
lösungsorientierten Auftreten zurückfinden. Nur so können wir wieder als die
Partei wahrgenommen werden, die wir unserem eigenen Anspruch nach sein wollen:
Eine Partei, die für Eigenverantwortung, Zukunftsoptimismus und das Versprechen
einer besseren Zukunft steht.
Erforderlich ist hierfür eine kollektive Kraftanstrengung. Gelingt uns diese
nicht, könnte im Jahr 2029 der vollständige Schiffbruch des organisierten
Liberalismus in Deutschland drohen. Ein Szenario, welches wir nicht hinnehmen
wollen. Ein Szenario, welches wir nicht hinnehmen dürfen. Aus Liebe für die
Freiheit.
Die Zeit ist jetzt gekommen, um die FDP aus dem politischen Abseits zurück in
die Mitte aller deutschen Parlamente zu führen.
Erste Reformvorschläge für einen schlagkräftigen organisierten politischen
Liberalismus der Zukunft
- Reformvorschläge für die Bundes-FDP
Start- und Fixpunkt aller Reformbemühungen der FDP ist zwangsläufig die Bundes-
FDP. Sie ist das Gesicht des Liberalismus für die breite Öffentlichkeit.
Einzelne Landesverbände kommen kaum gegen eine negative Grundstimmung der
Bundes-FDP an. Gleichzeitig braucht die Bundes-FDP jedoch erfolgreiche
Wahlergebnisse einzelner Landesverbände für das notwendige Momentum bei der
kommenden Bundestagswahl. Es muss schon deshalb das Anliegen aller
freiheitsliebenden Menschen in Deutschland - ganz gleich, aus welchem
Landesverband sie auch kommen mögen - sein, für eine starke Bundes-FDP zu
sorgen.
Die FDP hat in jüngster Vergangenheit zentrale Zielgruppen – insbesondere
Frauen, Ostdeutsche, junge Menschen sowie moderne, urbane und international
orientierte Milieus – personell und inhaltlich vernachlässigt. Ursachen dafür
sind eine ambivalente Positionierung bei gesellschaftspolitischen Kernthemen,
eine unzureichende Repräsentation dieser Gruppen in Führungspositionen sowie ein
Profil, das kaum mit deren Lebensrealitäten übereinstimmt. Um breitere
Wählerschichten anzusprechen, muss sich die FDP inhaltlich öffnen und personell
vielfältiger aufstellen.
- Strukturelle/Personelle Reformvorschläge
Reformbedarf: Die Gründe für die verheerende Wahlniederlage mögen vielfältig
sein, als einer der Gründe kann allerdings die starke Fokussierung auf eine
Einzelperson ausgemacht werden. Sollte im Rahmen einer (sehr großzügigen)
Betrachtung eine Fokussierung auf die erweiterte Führungsspitze diagnostiziert
werden, fällt auf, dass selbst diese Analyse nicht darum umher käme, dem
erweiterten Führungspersonal eine arg geringe Diversität zu diagnostizieren. So
liegt ein zentraler Grund für unterdurchschnittlichen Ergebnisse der FDP bei
Wählerinnen generell sowie Wählerinnen und Wählern in Ostdeutschland auch in der
fehlenden personellen Repräsentanz dieser Gruppen in der FDP und, damit
einhergehend, fehlender Präsenz in der Außenwahrnehmung der FDP begründet. (zur
ausführlichen Analyse, s. Kap. II)
Lösung: Die FDP Niedersachsen ist der Meinung, dass folgende Maßnahmen geeignet
sind, um mehr Parteimitglieder in der Öffentlichkeit zu platzieren und so eine
möglichst große (programmatische) Vielfalt der Partei abzubilden und eine breite
Bevölkerungsschicht zu repräsentieren. Unser Ziel muss sein: Mehr Breite in der
Spitze.
- Trennung von Partei- und Regierungsamt: Sofern künftige Bundesvorsitzende
oder Generalsekretäre als Minister/Ministerin Mitglied der Bundesregierung
werden, so müssen sie zum nächsten ordentlichen Bundesparteitag der FDP
zurücktreten und die entsprechenden Posten neu gewählt werden. - Trennung von Parteivorsitz und Fraktionsämtern in der Bundestagsfraktion:
Parteivorsitz und Fraktionsämter (Fraktionsvorsitz, stellvertretender
Fraktionsvorsitz, parlamentarische Geschäftsführung) sollen getrennt werden
– unabhängig davon, ob die FDP in der Regierung oder Opposition ist. - Einführung einer fakultativen Doppelspitze: Sowohl der Parteivorsitz als
auch der Fraktionsvorsitz können künftig als Doppelspitze besetzt werden.
Bewerbungen sollen in einem solchen Fall als Zweier-Teams erfolgen, um
Abstimmungsprobleme zu vermeiden. Die Co-Vorsitzenden der Doppelspitze
sollten idealerweise geschlechterparitätisch sein und aus unterschiedlichen
Landesverbänden stammen, dies ist jedoch keine Pflicht. Einzelkandidaturen
bleiben möglich. - Geschlechterparität: Die FDP Niedersachsen befürwortet eine langfristig
paritätische Besetzung des FDP-Bundesvorstands und Präsidiums. Auf eine
entsprechende Besetzung mit weiblichem Führungspersonal soll in Zukunft
besonders geachtet werden. - Vergüteter Parteivorsitz: Ein erfolgreicher Vorsitz in der APO-Zeit kann
nicht ehrenamtlich ausgeführt werden. Um die FDP strategisch aufzustellen
und konkurrenzfähig zu halten, sollte dieses Amt, sofern es nicht von
hauptamtlichen Mandatsträgern besetzt wird, angemessen vergütet werden. Nur
so kann sichergestellt werden, dass der Vorsitzende über die nötigen
Ressourcen verfügt, um die Partei nachhaltig zu führen und für den
Bundestag konkurrenzfähig zu machen. - Mitgliedschaft ab 14 Jahren: Viele Mitglieder der Jungen Liberalen
engagieren sich bereits ab dem Alter von 14 Jahren für die FDP und sind
insbesondere im Wahlkampf und in der programmatischen Gestaltung eine
Bereicherung. Daher soll eine Mitgliedschaft in der FDP bereits ab 14
Jahren möglich sein. Die Mitgliedschaft für 14- bis 16-jährige soll
grundsätzlich kostenfrei sein. - Externe Stimmen berücksichtigen: Die FDP sollte nicht nur interne
Strukturen, sondern auch Wählerperspektiven stärker einbeziehen. Ein
Mechanismus zur Evaluierung externer Stimmen könnte helfen, die
Parteiführung strategisch besser auszurichten. Auf diese Weise könnte
sichergestellt werden, dass die Partei nicht nur intern repräsentiert ist,
sondern auch extern auf die breite Wählerschaft ausgerichtet bleibt. - Politische Influencer: Die „öffentliche Meinung“ wird zunehmend von
Influencern geprägt. Menschen, die außerhalb von Parteiämtern und Mandaten
in den sozialen Medien für liberale Themen werben, haben sich zu einem
wahlentscheidenden Faktor entwickelt – insbesondere die Linkspartei hat
hiervon stark profitiert. Um auch in der außerparlamentarischen Opposition
(APO) sichtbar und relevant zu bleiben, muss ein zukünftiger Bundesvorstand
proaktiv den Kontakt zu reichweitenstarken Influencern suchen und sie
gezielt in exklusive Formate einbinden. Denkbar wären hier etwa Content-
Collabs, Creator-Stipendien, „Liberal Voices“-Events oder die Co-Creation
von Kampagnen.
- Inhaltliche Reformvorschläge
Reformbedarf: Die FDP hat zuletzt durch eine starke thematische Verengung und
widersprüchliche Positionierungen erheblich an Kontur verloren. Statt
überzeugende liberale Alternativen beim Klimaschutz, in der Europapolitik oder
in gesellschaftspolitischen Fragen klar zu kommunizieren, dominierte die
Wahrnehmung der Partei als monothematischer „Bremsklotz“ mit konservativer
Ausrichtung. Dabei wurden gerade zukunftsweisende Themen wie Digitalisierung,
Aufstiegschancen für junge Menschen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
soziale Gerechtigkeit, eine liberale Drogenpolitik oder Selbstbestimmung queerer
Menschen vernachlässigt, wodurch die FDP letztlich in einer Positionierung
gefangen blieb, die zwischen Union und AfD liegt und durch ein entgegenstehendes
Leitbild langfristig kein Potenzial für nachhaltige liberale Politik bietet.
(zur ausführlichen Analyse, s. Kap. II)
Lösung: Im Ausgangspunkt ist es unerlässlich, dass getroffene Beschlüsse
unumstößlich vom zukünftigen Bundesvorstand berücksichtigt werden müssen. Dies
gilt für den Kommunikationsstil, vor allem aber auch die programmatische
Beschlusslage. Ziel für unsere Beschlusslage ist die Abkehr von der zuletzt
wahrgenommenen inhaltlichen Verengung. In anderen Worten: Mehr programmatische
Breite – ein ganzheitlicher Liberalismus.
- Keine Zusammenarbeit oder Kooperation mit der AfD: Die FDP steht für
Freiheit und Weltoffenheit - Werte, die die in relevanten Teilen
rechtsextreme AfD konsequent verachtet. Die AfD möchte abschaffen, wofür
Liberale stehen. Es muss daher eine klare Haltung der Freien Demokraten
sein, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Königsmacherrolle der AfD geben
soll, mit der diese Partei in unserem Land realpolitische Veränderungen
bewirken oder Entschließungsanträge verabschieden kann. Ebenfalls darf die
AfD mit ihren angekündigten Zustimmungen zu Forderungen der FDP keinen
Einfluss auf unsere inhaltliche Position haben. Wir werden unsere
Überzeugungen unabhängig von dem Verhalten der AfD vertreten. Zu dieser
Überzeugung gehört, dass wir keine Mehrheiten mit der AfD suchen oder
darauf bauen.
- “Einigkeitsthemen” im Wahlkampf in den Vordergrund stellen: Die
Bundestagswahlen 2017 und 2021 zeigen, dass Themen wie Bildung,
Digitalisierung, Aktienrente und Steuerentlastung das gesamte liberale
Spektrum vereinen. Diese sollten im Wahlkampf im Mittelpunkt stehen, um
Geschlossenheit zu demonstrieren. Die Bundestagswahl 2025 dient insoweit
als Negativbeispiel dafür, dass sich die FDP bei entscheidenden
Wahlkampfthemen zunächst innerparteilich einig werden sollte, bevor man mit
innerparteilich-kontroversen Themen zerstritten an die Öffentlichkeit geht. - “Modernisierungsthemen” wie Bildung und Digitalisierung wieder
priorisieren: Die Bundestagswahl 2017 zeigt, dass die FDP auch deshalb
gewählt wird, wenn sie glaubwürdig für eine Modernisierung unseres Landes
einsteht, beispielsweise in den Bereichen Digitalisierung und Bildung. Es
ist sinnvoll, dass die FDP beim Eintritt in eine Regierung dann auch die
entsprechenden Schwerpunktressorts besetzt. Gleichzeitig dürfen diese
Themen dann weder inhaltlich noch kommunikativ untergehen, sondern müssen
prioritär bespielt und dabei auf die eigenen Erfolge verwiesen werden. - Keine inhaltlichen Schnellschüsse entgegen unserer Grundüberzeugungen:
Inhaltliche Schnellschlüsse, mit denen kurzfristig verzweifelt auf
spezielle Wählergruppen geschielt wird, langfristig jedoch der
Glaubwürdigkeit schaden oder den liberalen Prinzipien widersprechen, sind
zu vermeiden. Dazu zählen etwa Flatrate-Parken (widerspricht
Subventionsabbau), Grenzkontrollen in der EU (widerspricht Schengen und
einer liberalen europäischen Ausrichtung) oder Kryptowährungen in der
Währungsreserve (widerspricht dem Sachverstand auch uns wohlgesonnener
Ökonomen). - Kompromissfähigkeit statt rigider Standpunkte: Als Lehre aus der
gescheiterten Regierungsbeteiligung muss eine liberale Partei künftig
kompromiss- und dialogfähig bleiben, um mit demokratischen Mitbewerbern
zusammenzuarbeiten. Rote Linien führen zu kommunikativen Sackgassen und
sollten - unter Wahrung eigener Kernanliegen - im Regelfall vermieden
werden. - Programmatische Innovation in der Breite
- Eine zentrale Lehre aus dem Bundestagswahlkampf und den
migrationspolitischen Forderungen der FDP ist der erkennbare Mangel an
innovativen und einzigartigen Ideen, die als klares Alleinstellungsmerkmal
der Freien Demokraten dienen. Um in Zukunft stärker und profilierter
aufzutreten, brauchen wir eine Beschlusslage, die in der gesamten Breite
politischer Themen – von Entwicklungs- bis Kulturpolitik – mutige und
originelle Konzepte bietet. Diese Ideen müssen von einer zukünftigen
Parteispitze entschlossen nach außen getragen und im Wahlkampf sichtbar
gemacht werden.
- Wir gehen voran: Reformen der FDP Niedersachsen
Die FDP Niedersachsen muss der Motor des Erneuerungsprozesses im Bund sein. Für
diese Aufgabe muss sich die FDP Niedersachsen jedoch entsprechend aufstellen und
zunächst die eigenen “Hausaufgaben” erledigen. Der notwendige
Gestaltungsanspruch auf Bundesebene fängt mit zwingenden Veränderungen des
eigenen Verbands an.
- Parität statt Quote: Analog zur Bundesebene gilt auch hier: Die FDP
Niedersachsen lehnt feste Quoten ab, strebt aber langfristig eine
paritätische Besetzung ihres Landesvorstands an. Die FDP Niedersachsen
achtet bei künftigen Wahlen daher besonders auf eine Hinarbeitung zur
Parität. - Familienfreundliche Parteiarbeit: Mehr digitale Formate, klare und
verlässliche Sitzungszeiten und flexible Beteiligungsmöglichkeiten sollen
die Vereinbarkeit mit dem Familienleben verbessern und so allen Mitgliedern
eine Partizipation ermöglichen. - Mentoring & Netzwerke: Jede:r profitiert von einem starken Netzwerk. Man
braucht Menschen, die in die Parteiarbeit einführen, Abläufe erklären und
implizites Wissen weitergeben. Aus diesem Gedanken heraus könnte ein
Mentoringprogramm auf Landesebene aufgebaut werden. Teil davon könnten auch
gezielte Netzwerkveranstaltungen für Frauen sein. - Schnuppermitgliedschaft: Nicht jede:r möchte sich durch eine feste
Mitgliedschaft gleich langfristig an eine Partei binden. Eine
Schnuppermitgliedschaft kann Interessent:innen erste Einblicke in die
Arbeit der FDP Niedersachsen und ihre Beteiligungsmöglichkeiten bieten. Zur
Absenkung der Hemmschwelle soll sie grundsätzlich befristet und von
Mitgliedsbeitreiträgen befreit sein. Die Mitgliedschaft für 14- bis 16-
jährige soll grundsätzlich kostenfrei sein. - Flexible Mitgliedschaften: Viele Menschen möchten sich nur in bestimmten
Teilen oder hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte in einer Partei
engagieren. Dies könnte ihnen zukünftig in der FDP Niedersachsen durch eine
flexible Mitgliedschaft ermöglicht werden. Durch eine Fördermitgliedschaft
können ansonsten passive Mitglieder die Partei finanziell unterstützen. In
einer Mitgliedschaft auf Zeit oder projektbezogenen Mitgliedschaft können
Interessent:innen sich gezielt für einzelne Projekte oder zeitlich
begrenzte Prozesse innerhalb der Partei engagieren. Expert:innen
mitgliedschaften könnten der FDP Niedersachsen ermöglichen, gezielt externes Wissen und ideelle Unterstützung für die Partei zu gewinnen. - Direkte & Virtuelle Landesmitgliedschaft: Durch eine gesteigerte Mobilität
und flexiblere Lebensmodelle sind viele Menschen weniger ortsgebunden als
früher und brauchen auch in ihrem parteipolitischen Engagement mehr
Freiräume. Die FDP Niedersachsen könnte diesen Menschen zukünftig
vereinfacht eine direkteMitgliedschaft beim Landesverband ermöglichen, ohne
dass sie die Umwege über Orts-, Kreis- und Bezirksverbände nehmen müssen.
Neben einer virtuellen Mitgliedschaft kann dies insbesondere in
strukturschwachen Regionen Niedersachsens, in denen zum Teil keine oder nur
schwach aufgestellte Untergliederungen existieren, Engagement ermöglichen
und attraktiv machen.
Erste Fehleranalyse des organisierten politischen Liberalismus in den letzten
Jahren
Aus niedersächsischer Sicht waren insbesondere – aber nicht ausschließlich –
folgende Entscheidungen entscheidend für die Fehlentwicklung der FDP in den
letzten Jahren:
- Zielgruppen-Verengung
In den letzten Jahren verfestigte sich der Eindruck der FDP als Klientelpartei,
die ihre Ansprache nur an bestimmte Bevölkerungsgruppen richtet und gar nicht
von einer breiten Bevölkerungsschicht gewählt werden möchte. Insbesondere
folgende Personengruppen wurden zuletzt zu häufig außer Acht gelassen:
- Frauen: Die FDP schneidet bei Frauen schlechter ab, was inhaltlich und
personell begründet ist. Inhaltlich durch ambivalente Positionen zu Themen
wie § 218 StGB, Gleichberechtigung, insb. dem Selbstbestimmungsgesetz,
Abgrenzung gegenüber der AfD (für ein patriarchalisches Gesellschaftsbild
steht). Personell, weil – bis auf eine aus der Bundespolitik ausgeschiedene
Strack-Zimmermann und die ehemalige Ministerin unscheinbare Stark-Watzinger
– kaum Frauen in Spitzenpositionen vertreten sind. Dass die Partei sich
hier nicht besser positionieren konnte, ist ein Armutszeugnis für politisch
liberale Menschen und fatal für ihre Wahlergebnisse, nicht zuletzt, weil
Frauen die Hälfte der Wahlberechtigten stellen. - Ostdeutsche: Auch das wiederholt unterdurchschnittliche Ergebnis in den
neuen Ländern lässt auf grundlegende Defizite schließen. Diese haben ihren
Ursprung nicht nur, aber auch in geringer personeller Widerspiegelung der
Zielgruppe und inhaltlicher Vernachlässigung derselben. - Junge Menschen: Junge Menschen – eine Gruppe, die tendenziell eher liberal
und weltoffen ist – konnten wir, trotz des für deutsche Verhältnisse jungen
Personals, nicht von der FDP überzeugen. Die Entwicklung allein sozialen
Medien zuzuschreiben, greift zu kurz, auch wenn die FDP dort
zielgruppenorientierter auftreten sollte. Entscheidend ist, dass ihre
Inhalte nicht die Lebensrealität junger Menschen widerspiegeln. Viele
erkennen die Risiken hoher Schulden, doch ein starrer Fokus auf die
Schuldenbremse überzeugt kaum, wenn Schulen und Universitäten marode sind.
Das diesbezügliche FDP-Kernthema des “Aufstiegsversprechens” war im Zuge
der letzten Bundestagswahl, anders als noch 2021, nahezu nicht präsent. - Moderne, aufstiegsorientierte Bürger:innen: Nicht zuletzt hat es die FDP
verpasst, die wachsende Gruppe der modernen, aufstiegsorientierten und
international orientierten Menschen, welche meistens in den urbanen Zentren
aufzufinden sind, anzusprechen. Stattdessen hat sich die FDP auf ein im
Verhältnis zur deutschen Bevölkerung altes, konservatives, gefestig
besserverdienendes, staats- und – vermutlich noch schädlicher –
europaskeptisches Klientel eingestellt.
Seit 2017 hätte die Partei all diese Gruppen als Wähler gewinnen können. Doch
statt ein inhaltliches Minimum bei Gleichberechtigung, internationaler
Zusammenarbeit, Umweltbewusstsein, sozialem Frieden und europäischer
Ausrichtung zu etablieren, passte die FDP ihr inhaltliches Profil der Verengung
der Zielgruppen an und trat einem Überbietungswettbewerb bei, in dem die
Beschlusslage kaum noch berücksichtigt wurde.
- Inhaltliche Verengung
Dass die FDP - selbst über die erwähnten “Krisen-Milieus” hinaus - zunehmend als
konturlos und monothematisch (“Die FDP als Partei der Schuldenbremse”)
wahrgenommen wird, ist einer generellen inhaltlichen Verengung geschuldet. Diese
liegt unter anderem, aber nicht nur, in folgenden Themen begründet:
- Umwelt- und Klimaschutz: Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen
ist eine fundamentale Aufgabe unserer Zeit, und gleichzeitig eine, bei der
die Liberalen historisch bereits unter dem ersten Umweltminister Hans-
Dietrich Genscher eine entscheidende Rolle spielten. Insbesondere bei der
Bekämpfung des Klimawandels bieten die Freien Demokraten mit einem
strikten, umfassenden und möglichst globalen Emissionshandel eine
überlegene und vielversprechende Lösung. Dessen Glaubwürdigkeit wird jedoch
in Frage gestellt, wenn die FDP nicht mehr über ihn spricht, sondern nur
noch über Abschwächungen bisheriger Umwelt- und Klimaschutzregulierung.
Positionen wie eine Angleichung des deutschen Klimaziels 2045 an das EU-
Ziel 2050 oder die Abschaffung des Umweltbundesamtes sind zwar
nachvollziehbar und folgen einer antibürokratischen Begründung.
Gleichzeitig erwecken diese den Eindruck, für die FDP sei Klimaschutz
lästig und sie wolle diesen nur abschwächen, wenn nicht im Gegenzug auch
über unsere alternativen Lösungsvorschläge für einen effektiveren
Klimaschutz gesprochen wird. - Wirtschaftspolitik: Die politische Ausrichtung konzentrierte sich zunehmend
auf gefestigte Besserverdienende, während junge, aufstiegsorientierte
Menschen und zukunftsträchtige Sektoren wie die Tech Branche vernachlässigt
wurden. Diese Priorisierung verstärkte die Ungleichheit und sendete
widersprüchliche Signale an eine breite Wählerschaft. - Migrationspolitik: Die Unterscheidung zwischen Asyl und Migration wurde
zunehmend verwischt, was zu einer intellektuellen Verdünnung der
politischen Debatte führte. Diese Entwicklung erinnerte an die Union, die
ebenfalls Schwierigkeiten hatte, klare Positionen zu vertreten und dadurch
ihre Glaubwürdigkeit in der Migrationspolitik gefährdete. - Sozialpolitik: Das Stigma der sozialen Kälte konnte nicht abgelegt werden.
Diesbezügliche Erfolge der FDP innerhalb der Ampel-Regierung wurden nach
dem Scheitern dieser kaum mehr hervorgehoben, beispielsweise die
Veränderung der Zuverdienstregelungen innerhalb des Bürgergeldes oder die
Anhebung der Minijobgrenze, sondern gingen innerhalb der Abgrenzung von der
Ampel unter. - Europapolitik: Innerhalb der Bundesregierung nahmen die Freien Demokraten
häufig eine Rolle ein, in der sie sich gegen Vorschläge der Europäischen
Union und der weiteren Mitgliedsländer stellten - sei es beim
Lieferkettengesetz, bei den Importzöllen auf chinesische Autos oder beim
Verbrenner-Aus. Wenngleich auch hier die inhaltliche Position richtig und
nachvollziehbar ist, entstand gleichsam der Eindruck, die FDP sei ein
Bremsklotz der Europäischen Union, ohne dabei nennenswert eigene Vorschläge
für die Zukunft der EU zu liefern. Genau diese hätte eine dezidiert
proeuropäische Partei wie die FDP allerdings laut kommunizieren sollen,
insbesondere in ihren eigenen Ministerien innerhalb der Ampel-Regierung. - Gesellschaftsliberale Themen: Die Selbstbestimmung queerer Menschen spielte
im Wahlkampf kaum eine Rolle. Die Partei wirkte unsicher beim
Selbstbestimmungsgesetz, obwohl es auf ihrer eigenen Beschlusslage beruhte.
Diese inhaltliche Inkohärenz schwächte das gesellschaftsliberale Profil der
FDP und sorgte stattdessen für widersprüchliche Signale. - Digitalisierung: Bei der Bundestagswahl 2017 spielte das Thema der
Digitalisierung eine hervorgehobene Rolle und festigte das Bild der Freien
Demokraten als Partei der Modernisierung. Weder innerhalb der Ampel-
Regierung noch im Anschluss spielte das Thema dann noch eine große Rolle,
obwohl wir sogar den fachlich zuständigen Digitalminister stellten. - Liberale Drogenpolitik: Während bei der Bundestagswahl 2021 viele junge
Menschen die FDP bei der Frage nach einer weitgehenden Cannabis-
Legalisierung unterstützen, spielte dieses Thema inklusive einer
weitergehenden Liberalisierung sowie eine liberale Drogenpolitik im
Allgemeinen bei dieser Bundestagswahl gar keine Rolle mehr. - Zweitstimmenkampagne / Anbiederungswahlkampf an konservative Kräfte: Ein
Wahlkampf, in dem man der sich explizit an konservative Kräfte annähert,
ist kein Erfolgsrezept für eine liberale Partei, wie uns bereits die
Wahlschlappe 2013 gezeigt hat. Stattdessen müssen wir uns auf das
Erfolgsrezept von 2017 und 2021 zurückbesinnen: Liberale Werte und Inhalte.
- Personelle Verengung
Ein wesentlicher Grund für das schlechte Abschneiden der FDP war die starke
Fokussierung auf eine Einzelperson. Selbst bei großzügiger Betrachtung der
erweiterten Führungsspitze fällt die geringe Diversität auf, insbesondere in
Bezug auf Frauen und Ostdeutsche. Im Einzelnen:
- Zentralisierung auf eine Person: Eine unpopuläre Spitzenfigur kann das
Gesamterscheinungsbild der Partei negativ prägen. Durch die starke
Konzentration an innerparteilicher Macht und der öffentlichen
Berichterstattung auf eine Person können deren (schlechte)
Persönlichkeitswerte nicht mehr durch die Leistungen anderer
Parteimitglieder oder der Gesamtpartei zumindest teilkompensiert werden.
Ein weiteres Problem stellt hierbei dar, dass, in Folge dieser Entwicklung,
Partei und Führungsperson, meist der/die Parteivorsitzende, als Synonyme
verstanden werden: Der/die Parteivorsitzende ist die Partei, die Partei ist
der/die Parteivorsitzende. Daraus ergibt sich ein Folgeproblem: Die
Sichtbarkeit anderer Parteimitglieder in der öffentlichen Wahrnehmung nimmt
ab und deren häufig gute Arbeit wird kaum wahrgenommen und gewürdigt. - Eklatante Lücke von Frauen in Führungspositionen: Abgesehen von Strack-
Zimmermann und Stark-Watzinger gibt bzw. gab es kaum weibliche
Spitzenpolitikerinnen in der FDP. Das ist für eine liberale Partei ein
Armutszeugnis. Es zeichnet nicht nur ein Bild einer Partei mit
patriarchalischen Strukturen und schreckt so grundsätzlich interessierte
Frauen ab, es gilt leider auch oftmals: Dort, wo Frauen keine Politik
machen, kommt Frauenpolitik zu kurz. In der Folge sind feministische,
progressive Themen deutlich weniger im Vordergrund, als es sich für eine
liberale Partei gehört, und Frauen weniger motiviert, sich in der Partei zu
engagieren oder sie zu wählen. - Mangelnde ostdeutsche Repräsentation: Die FDP als Partei hat es bislang
kaum geschafft, ostdeutsche Politiker:innen in Spitzenpositionen zu
bringen. Diese Lücke in der Repräsentation verstärkt den Eindruck, dass die
FDP nicht ausreichend die Interessen Ostdeutschlands widerspiegelt. Dadurch
fehlt es der Partei an der Fähigkeit, die unterschiedlichen Perspektiven
und Bedürfnisse der Region in ihre politische Arbeit zu integrieren. - Unterrepräsentation von Personen mit Migrationshintergrund: Ein weiterer
bedeutender Aspekt der personellen Verengung ist die unzureichende
Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in der FDP. In einer
zunehmend multikulturellen Gesellschaft wäre es entscheidend, die
Perspektiven von Migrantinnen und Migranten stärker in die Parteiarbeit zu
integrieren. Die mangelnde Sichtbarkeit von Personen mit
Migrationshintergrund in der öffentlichen Wahrnehmung trägt dazu bei, dass
sich diese Bevölkerungsgruppe weniger mit der FDP identifizieren kann. Ohne
eine breitere Repräsentation dieser Vielfalt riskiert die Partei, wichtige
gesellschaftliche Gruppen zu verlieren.