Gemeinsam statt einsam – Europa muss führen
Der Landesparteitag hat beschlossen:
Europa steht unter Druck. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen
die Ukraine ist zugleich ein Angriff auf die europäische Freiheits- und
Friedensordnung. Wird Russland nicht gestoppt, dann droht ein Angriff auf
Mitgliedstaaten der EU und NATO. Ausgerechnet jetzt droht die transatlantische
Partnerschaft – jahrzehntelang das Fundament unserer Sicherheit – zu zerbrechen.
Unter Trump droht nicht nur ein Ende der Unterstützung der Ukraine durch die
USA. Es besteht die Gefahr, dass Trump und Putin einen Deal auf Kosten der
Ukraine und Europas machen. Im schlimmsten Fall droht ein Abzug der US-Truppen
aus Europa. Dies gilt es zu verhindern. Doch ob es gelingt oder nicht, steht für
uns eines fest: Europa kann sich nicht länger auf den Schutz der USA verlassen.
Wir Europäer müssen selbst handlungsfähig werden, um Freiheit, Frieden und
Sicherheit auf unserem Kontinent zu gewährleisten.
Zu der Bedrohung von außen gesellen sich die Feinde im Innern: Unsere liberale
Demokratie steht unter Druck wie nie zuvor. In fast allen europäischen Staaten
steigt die Zustimmung für rechtsextreme Parteien, auch in Deutschland.
Rechtsextremisten pauschalisieren, schüren Ängste und versprechen einfache
Lösungen. Ihr Hauptthema ist die Migration. Sie nutzen berechtigte Sorgen über
schlecht gesteuerte Zuwanderung, um Hass zu säen. Diese Sorgen nehmen wir Freie
Demokraten ernst. Doch wir begegnen ihnen nicht mit Symbolpolitik,
Rechtsverstößen oder der Übernahme antiliberaler Narrative. Als Freie Demokraten
wollen wir die Probleme in unserem Land lösen. In der Migrationspolitik kann uns
dies nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern gelingen, nicht gegen sie.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) ist dafür ein wichtiger Baustein
und der erste Schritt zu einer echten europäischen Asylpolitik.
Europa muss zusammenstehen – nach außen wie nach innen. Als Freie Demokraten
stehen wir für eine Politik, die Weltoffenheit mit Ordnung verbindet. Migration
muss so gesteuert werden, dass sie unser Land bereichert, nicht spaltet. Und
Europa muss die Kraft haben, seine eigene Sicherheit zu garantieren – unabhängig
von der Unterstützung anderer.
Europa muss unverbrüchlich an der Seite der Ukraine stehen
Wir Freie Demokraten stehen unverbrüchlich an der Seite der Ukraine. Deshalb
setzen wir uns dafür ein, dass Europa die Ukraine weiterhin politisch,
wirtschaftlich und militärisch unterstützt – notfalls auch allein. Wir Freien
Demokraten führen eine angstfreie Diskussion und lehnen das Schüren von Ängsten
zum Erreichen parteipolitischer Ziele strikt ab. Das Material, das die Ukraine
zur Landesverteidigung benötigt, muss geliefert werden. Friedensverhandlungen
dürfen nicht ohne Beteiligung der Ukraine und Europas stattfinden. Die Ukraine
ist keine Verhandlungsmasse für dritte Mächte. Keine Entscheidung über die
Ukraine darf ohne oder gegen ihren Willen getroffen werden. Unser langfristiges
Ziel bleibt die vollständige Wiederherstellung der territorialen Integrität der
Ukraine sowie nach Abschluss der Kämpfe ihr Beitritt zur EU und NATO. Als EU-
Beitrittskandidat müssen wir die Ukraine auch wirtschaftlich und humanitär
unterstützen, z.B. beim Wiederaufbau. Damit Europa diese Position mit Nachdruck
vertreten kann, müssen wir mit einer Stimme sprechen. Idealerweise gelingt dies
über die EU und in enger Abstimmung mit unseren europäischen NATO-Partnern. Wo
ein gemeinsamer EU-Beschluss scheitert, müssen wir entschlossen vorangehen – sei
es durch verstärkte Zusammenarbeit oder eine Koalition der Willigen.
Perspektivisch führt jedoch kein Weg an einer Reform der EU-Verträge vorbei,
wenn Europa handlungsfähig werden soll. Der Vorschlag des Europäischen
Parlaments vom 22. November 2023 (P9_TA(2023)0427) bietet hierfür eine solide
Grundlage. Wir fordern den neuen Bundeskanzler auf, im Europäischen Rat die
Einberufung des Konvents gemäß Art. 48 Abs. 3 EUV zu erwirken.
Europäischer Verteidigungsfonds
Europa hat über Jahre hinweg viel zu wenig Geld in die eigene Sicherheit
investiert. Derzeit sind wir Europäer nicht in der Lage die Sicherheit unseres
Kontinents zu gewährleisten. Das muss sich ändern, und zwar schnell. Dazu
unterstützen wir den Vorschlag, den Stabilitätspakt nicht auf
Verteidigungsausgaben anzuwenden. Zudem schlagen wir über den Vorschlag der EU-
Kommission hinaus einen Europäischen Verteidigungsfonds vor, mindestens in Höhe
von Next Generation EU. Nicht-EU-Mitgliedern wie Norwegen und dem Vereinigten
Königreich wollen wir eine Beteiligung anbieten. Ein Drittel des Fonds dient
zunächst der Unterstützung der Ukraine. Dies sendet das klare Signal an Putin,
dass Europa die Ukraine nicht im Stich lassen wird. Die übrigen zwei Drittel
dienen der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas. Über diesen Fonds können
Mitgliedstaaten sich die Kosten für die Entwicklung und Beschaffung von
Rüstungsgütern erstatten lassen, die in Europa produziert werden, wenn daran
mindestens zwei Mitgliedstaaten mitwirken. Sind mehr als zwei Mitgliedstaaten
beteiligt, steigt der Anteil, der erstattet wird. Dadurch fördern wir eine
gemeinsame Rüstungsentwicklung und -beschaffung, was zu einer effizienteren
Mittelnutzung beiträgt. Die EU-Mitgliedstaaten, die Mitglied der NATO sind,
sollten mindestens 3 % ihres BIP in Verteidigung investieren.
Deutschland muss den europäischen Strang in der NATO stärken
Als größte Volkswirtschaft Europas trägt Deutschland eine besondere
Verantwortung für die Sicherheit unseres Kontinents. Dieser Verantwortung müssen
wir endlich gerecht werden. Wir fordern daher, dauerhaft mindestens 3 % des BIP
in die Verteidigung zu investieren. Vorrangig muss dies durch Einsparungen im
Bundeshaushalt und Wirtschaftswachstum finanziert werden. Nur darüber hinaus
kommt für uns auch eine Finanzierung durch zusätzliche Schulden in Betracht.
Effizienzsteigerungen im Beschaffungswesen sind unerlässlich, um die Mittel
wirksam einzusetzen.
Wir halten es für unwahrscheinlich, dass das künftig erforderliche
Truppenkontingent unter dem Gebot der Freiwilligkeit zu erreichen ist. Im
Spannungs- oder Verteidigungsfall gilt die Wehrpflicht bereits. Um im Spannungs-
oder Verteidigungsfall schnell Klarheit über die verfügbare Personalreserve zu
haben, setzen wir uns für eine Musterungspflicht ein. Alle Deutschen sollen
unabhängig vom Geschlecht mit Erreichen der Volljährigkeit eine Einladung zur
Musterung erhalten, der verpflichtend nachzukommen ist. In erster Linie setzen
wir auf eine attraktive Bundeswehr, die ausreichend Freiwillige anzieht.
Migration europäisch ordnen
Deutschland ist auf Fachkräfteeinwanderung angewiesen. Gleichzeitig muss die
irreguläre Immigration entschieden bekämpft werden. Das die Demokratie
zersetzende Gefühl eines “Kontrollverlustes” darf sich nicht ausbreiten. Das
würde die Legitimität der liberalen Demokratie unterhöhlen.
Zur Bekämpfung der irregulären Migration sind die EU und alle staatlichen Ebenen
ihrer Mitgliedstaaten aufgerufen. Im zwischenstaatlichen Kontext muss dabei
stets eine gemeinsame Lösung auf EU-Ebene gesucht werden. Maßnahmen, die sich in
anderen EU-Mitgliedstaaten auswirken, dürfen nicht einseitig und ohne deren
Beteiligung getroffen werden.
Die EU, aber auch Deutschland muss bei der Bekämpfung der irregulären Migration
kohärent vorgehen und alle Politikfelder einbeziehen. Denkverbote darf es nicht
geben. So können auch die Konditionierung von Entwicklungshilfe und Maßnahmen
der Handelspolitik sinnvolle Hebel sein, um die Zusammenarbeit im Bereich der
irregulären Migration zu erhöhen.
Verstöße anderer EU-Mitgliedstaaten gegen das Unionsrecht führen weder zur
Suspendierung eigener Pflichten noch zu einem nationalen Notstand in der
Migrationspolitik. Das Unionsrecht kennt keine Reziprozität, sondern nur eine
Loyalitätspflicht gegenüber der EU und untereinander. Anstatt einseitig
Pflichten für unverbindlich oder suspendiert zu erklären, muss Deutschland
zweierlei tun:
Zum einen muss Deutschland Druck auf Mitgliedstaaten ausüben, die ihren
Rückübernahmeverpflichtungen nicht nachkommen oder keine menschenrechtskonformen
Unterbringungen gewährleisten. Nur so können Rücküberstellungen aus Deutschland
rechtssicher erfolgen. Dieser Druck sollte vorrangig durch Unterstützung der EU-
Kommission geschehen, kann aber auch bilaterale Maßnahmen wie nationale
Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH gem. Art. 259 AEUV einschließen.
Zum anderen sollte Deutschland Änderungen des sekundären Unionsrechts anstoßen
und unterstützen. So könnten Drittstaatsverfahren dadurch erleichtert werden,
dass das sog. Verbindungselement gestrichen wird. Auch können Prüfungspflichten
an den EU-Binnengrenzen, die eine Zurückweisung an den deutschen Grenzen in den
meisten Fällen unionsrechtswidrig machen, nur auf Ebene des Unionsrechts
aufgehoben werden.
Deutschland ist als größter Mitgliedstaat, als Gründungsstaat und Brücke
zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten in besonderem Maße für den Zusammenhalt
in der EU verantwortlich. Als Exportnation profitiert Deutschland zudem in hohem
Maße von diesem Zusammenhalt, etwa in der Handels- und Zollpolitik. Vor diesem
Hintergrund sollte Deutschland sich nicht auf rechtliche Experimente einlassen
wie Zurückweisungen an den Binnengrenzen oder das Vertrauen auf eine nationale
Notlage gem. Art. 72 AEUV.
Hybride Bedrohungen gemeinsam bekämpfen
Ganz Europa muss die hybriden Angriffe autoritärer Staaten, wie etwa Russland
und China, endlich ernst nehmen. Diese Staaten wollen mit Angriffen wie
Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffen europäische Demokratien
systematisch unterwandern. Die Strukturen europäischer Staaten zur Bekämpfung
dieser Phänomene müssen aufeinander abgestimmt werden. Dazu gehört auch, dass
die Nachrichtendienste europäischer Staaten insbesondere bei der Früherkennung
und Abwehr hybrider Angriffe enger zusammen arbeiten müssen. Außerdem braucht es
einen gemeinsam Ansatz zur Attribuierung hybrider Angriffe. Die Öffentlichkeit
muss über die Hintergründe und Urheber dieser Angriffe proaktiv informiert
werden. Dabei dürfen sich unterschiedliche europäische Staaten nicht
widersprechen.
Notlage gem. Art. 72 AEUV.
Zur Stärkung der strategischen Souveränität Europas braucht es neben
militärischer Handlungsfähigkeit auch technologische Führungsstärke. Wir Freie
Demokraten fordern daher die Einrichtung einer Europäischen
Innovationsinitiative für Sicherheit und Resilienz. Ziel ist es, gezielt
Forschung und Entwicklung in sicherheitsrelevanten Zukunftstechnologien - etwa
Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit, Quantentechnologien und kritische
Infrastruktur - europaweit zu fördern. Dadurch stärken wir nicht nur unsere
Verteidigungsfähigkeit, sondern sichern auch langfristig Europas wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit.