Landesoffensive zur Erreichung einer Spitzenposition in angewandter und politikorientierter Wirtschaftsforschung
Die Freien Demokraten setzen sich nachdrücklich für eine leistungs- und wettbewerbsfähige Forschungsinfrastruktur im Bereich Wirtschaftswissenschaften in Niedersachsen ein, die imstande ist im nationalen und internationalen Standortwettbewerb um eine Spitzenposition in angewandter und politikorientier Wirtschaftsforschung zu konkurrieren. Eingedenk der geradezu tektonischen Verschiebungen in der Verfasstheit unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft ist Niedersachsen mehr denn je auf fundierte und relevante wirtschaftswissenschaftliche Expertise, regionalökonomische und volkswirtschaftliche Forschung, angewiesen. Der Wirtschaftsstandort Niedersachsen befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Disruptive Transformationsprozesse, galoppierende Energiekosten, hohe Lohnstückkosten und der sich zuspitzende Fachkräftemangel beeinträchtigen erheblich die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Niedersachsens. Um die Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotentiale an unserem Standort zu identifizieren, ist eine kluge, politikorientierte und angewandte Wirtschaftsforschung unerlässlich. Die Verfügbarmachung und kontinuierliche Weiterentwicklung von wirtschaftswissenschaftlichen Wissensbeständen in Niedersachsen spielen eine elementare Schlüsselrolle, um die komplexe Wirtschaftsstruktur in Verbindung mit den gesellschaftlichen und technologischen Umwälzungen zu analysieren und die Voraussetzungen in Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort zu schaffen.
Niedersachsen hat derzeit kein einziges außeruniversitäres Wirtschaftsforschungsinstitut, während andere Bundesländer mit renommierten Einrichtungen wie dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Bayern, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Schleswig-Holstein, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Sachsen-Anhalt, dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Baden-Württemberg, dem "Sustainable Architecture for Finance in Europe" (SAFE) in Hessen und dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Nordrhein-Westfalen eine bundesweite Strahlkraft vorweisen können. Die Erstellung profunder Datenlagen, wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen zu relevanten ökonomischen Schwerpunktthemen ist entscheidend für wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand von politischen Entscheidungsträgern auf kommunaler, regionaler und Landesebene. Ein außeruniversitäres Wirtschaftsforschungsinstitut kann Synergiepotentiale in der niedersächsischen Forschungslandschaft heben und als Thinktank für die niedersächsische Wirtschaft und Politik fungieren.
Laut einer Studie von Prof. Dr. Stephan L. Thomsen (Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere angewandte Wirtschaftspolitik an der Leibniz Universität Hannover) nehmen Wirtschaftswissenschaften in Niedersachsen im bundesweiten Vergleich einen geringen Stellenwert ein[1]. Dies drückt sich in einem unterdurchschnittlichen Anteil der Studenten in diesem Bereich, unterdurchschnittlichen Betreuungsrelationen sowie in einer Reduktion der Grundmittelausstattung je Studenten in den vergangenen zehn Jahren aus, die sich nur in wenigen anderen Bundesländern noch schlechter entwickelt hat. Nur durch erhebliche Zuwächse in der Drittmittelakquisition konnte dieser Trend kompensiert werden. Obwohl den Wirtschaftswissenschaften in Niedersachsen ein hohes Potential für ökonomische Forschung bescheinigt werden kann, wird dieses durch erhebliche Defizite in den Rahmenbedingungen, der strategischen Ausrichtung und ungenutzte Synergiepotentiale gehemmt. Die FDP Niedersachsen hat deshalb bereits in ihrem Landtagswahlprogramm 2022 ein wissenschaftliches Bekenntnis dazu abgelegt, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Niedersachsen wissenschaftlich stärker zu begleiten und mehr Mittel für den ökonomischen Forschungsbereich bereitzustellen (Wahlprogramm, S.21).
Vertreter der niedersächsischen Wirtschaft, darunter Unternehmer- und Arbeitgeberverbände, setzen sich stark für einen politikberatenden Ansatz der Wirtschaftsforschung ein, da auf diese Weise eine evidenzbasierte und verlässliche Wirtschaftspolitik herbeigeführt werden könne³. Um die aktuellen Schwächen zu überwinden und die Potenziale der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungslandschaft in Niedersachsen auszuschöpfen, ist eine Landesoffensive zur Weiterentwicklung der angewandten und politikorientierten Wirtschaftsforschung dringend notwendig. Niedersachsen bringt u.a. mit dem Center für Wirtschaftspolitische Studien (CWS) an der Leibniz Universität Hannover und auch der Stiftung Niedersächsische Wirtschaftsforschung (SNIW) als Multiplikatoren und direkter Zugang zur niedersächsischen Wirtschaft beste Voraussetzungen zur Etablierung eines außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstituts, das im Zuge eines angewandten, politikberatenden Ansatz zur Durchschlagskraft des wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstandes in der Politik fähig wäre.
Wir fordern daher:
- Die Etablierung eines außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstitut in Niedersachsen nach dem Vorbild des ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Finanziell sollte das Institut auf Augenhöhe mit außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstituten anderer Länder ausgestattet werden und von der niedersächsischen Landesregierung institutionell gefördert werden². In den ersten 5 Jahren sollten VW-Vorab-Mittel eingeplant werden. Nach Möglichkeit sollte aus der Wirtschaft eine Stiftungsprofessur zur wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung oder Theoriebildung eingebracht werden.
- Die Handlungsfelder des außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstituts sollen in Forschung, Politikberatung, Information und Services, Beteiligung an öffentlichen Debatten und Nachwuchsförderung gegliedert sein und damit weit über die außeruniversitäre Forschungsarbeit hinausgehen.
- Die Forschungsarbeit könnte sich an folgenden fünf Forschungsbereichen orientieren:
1) Wettbewerbsfähigkeit, Strukturwandel und Branchen
- Forschungsschwerpunkte: Automotive-, Agrar- und Energiebranchen, Life Sciences, KI: Quantencomputertechnologie, Blockchain, Finanzsektor
2) (Berufliche) Bildung, Qualifikation, Arbeitsmarkt(migration) und Demografischer Wandel
3) Regional- und Standortanalysen
4) Evaluation politischer Interventionen
5) Öffentliche Finanzen
- Die Förderung kooperativer Forschungsprojekte zwischen Hochschulen oder Hochschulen und externen Einrichtungen sowie Unternehmen in relevanten Themenbereichen (Automotive, Agrar- und Energiebranche) für Niedersachsen. Durch die Förderung sollen die bestehenden Kompetenzen unterschiedlicher Hochschulen zusammengeführt und/oder Akteure außerhalb der Wissenschaft in Forschungsaktivitäten eingebunden werden.
- Unternehmen sollen insbesondere im Rahmen von Öffentlich-Privaten- Partnerschaften mit Forschungsprämien incentiviert werden.
- Das avisierte niedersächsische, außeruniversitäre Wirtschaftsforschungsinstitut sollte Kooperationen mit anderen Instituten insbesondere aus norddeutschen Bundesländern, z.B. Hamburg, Schleswig- Holstein und Bremen, ausloten, um einen wichtigen Beitrag zur Unabhängigkeit und Stabilität des Instituts zu leisten.