Reform der juristischen Ausbildung: Die niedersächsische Justiz durch moderne Ausbildung und Ausstattung zukunftsfest aufstellen

Die FDP setzt sich für eine zukunftsorientierte und innovative Juristenausbildung ein, die den sich kontinuierlich verändernden Anforderungen unserer modernen Gesellschaft und der globalen Vernetzung gerecht wird. Diese Notwendigkeit wird besonders deutlich angesichts der rückläufigen Absolventenzahlen und des grassierenden Fachkräftemangels in allen Bereichen der niedersächsischen Justiz. Auch der demographische Wandel macht nicht vor Gerichtsgebäuden halt. Ab dem Jahr 2023 werden in Niedersachsen immer mehr Richter und Staatsanwälte in den altersbedingten Ruhestand eintreten. Ab dem Jahr 2026 jährlich zwischen 50 und 70. Innerhalb der nächsten 10 Jahre werden jeweils gut ein Drittel der Richter der Arbeits-, Finanz- und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ruhestand gehen. Daran ist deutlich zu erkennen, dass sich der Richterstand in seiner Zusammensetzung deutlich wandeln und verändern wird. Um den darüber hinausgehenden Herausforderungen durch die Digitalisierung begegnen zu können, muss bereits während der juristischen Ausbildung nach Lösungsansätzen gesucht werden. Modernisierungsbedarf in der Ausgestaltung des Referendariats besteht insbesondere mit Blick auf Präsenzarbeitsgemeinschaften und das händische Schreiben von Übungs- und Examensklausuren. Die bloße Ankündigung, die eKlausur für 2026 zu planen, ist deutlich zu wage und in der aktuellen Situation auch zu spät.

Den bereits im Jahr 2019 begonnenen Bestrebungen zur Digitalisierung des Vorbereitungsdienstes hat die Corona-Krise einen besonderen Schub verliehen. Die mit einer Online-Ausbildung verbundenen Vorteile müssen erhalten bleiben. Insbesondere in einem Flächenland wie Niedersachsen, in dem Ausbildungsbezirke sehr weitläufig sind und in denen Referendarinnen und Referendare weite Fahrtwege in Kauf nehmen müssen, können digital durchführbare Unterrichtseinheiten Hemmschwellen bei der Bewerbung um Referendarstellen in der Fläche abbauen. Bereits heute ist die Durchführung digitaler Arbeitsgemeinschaften nach geltendem Recht möglich. Die Freien Demokraten in Niedersachsen wollen die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie als Chance nutzen, die Digitalisierung der Ausbildung im Referendariat weiter zu verbessern. Die Nutzung digitaler Formate soll überall dort erhalten bleiben, wo es Sinn macht, ohne dass der wertvolle persönliche Kontakt der Referendare untereinander leidet. Die Justiz benötigt Juristinnen und Juristen, die sich für vielfältige Themenbereiche interessieren, innovativ arbeiten und Neuem gegenüber aufgeschlossen sind. Die große Mehrheit der Referendare ist selbst der Auffassung, dass auch das „Recht der Digitalisierung“ (81 Prozent) und der Bereich „Legal Tech“ (74 Prozent) Gegenstand von Ausbildungsveranstaltungen im Referendariat sein sollten (Umfrage: Digital Study 2019: Die deutschlandweite Studie zur Digitalisierung der Juristenausbildung).

Mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung der Justiz muss auch die Einbindung der Rechtsreferendare in den neuen digitalen Arbeitsalltag in den Blick genommen werden. Die Übertragung der Ausbildungsinhalte muss bei der Implementierung der E-Akte bedacht und der elektronische Rechtsverkehr entsprechend weiterentwickelt werden. Denkbar ist auch eine Datenaustauschplattform, die durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen nur authentifizierten Personen Zugang zu den Daten erlaubt. Nicht nur Referendarinnen und Referendaren sind für die von ihnen zu erstellenden Bearbeitungen auf Akten angewiesen, sondern auch der Austausch mit den Ausbilderinnen und Ausbildern hat auf sicherem Weg zu erfolgen. Dabei sind die Regelungen zum Datenschutz und der IT-Sicherheit stets zu beachten.

Für eine zeitgemäße Ausbildung der Nachwuchskräfte ist auch ein besserer Zugang zu digitalen Lernmaterialien und Lernprogrammen erforderlich. 85 Prozent der befragten Referendarinnen und Referendare finden digitale Lernprogramme hilfreich, 89 Prozent sind der Meinung, dass die bestehenden digitalen Lernprogramme weiter ausgebaut werden sollen (Umfrage: Digital Study 2019: Die deutschlandweite Studie zur Digitalisierung der Juristenausbildung). Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten, den bisher üblichen Präsenzunterricht um neue innovative Formate anzureichern und das Lernangebot für das Selbststudium der Referendarinnen und Referendare auszubauen. Auch die digitale Staatsexamensprüfung darf kein Wunschgedanke bleiben. Auf Bundesebene liegt bereits ein Entwurf zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes vor, um die notwendigen gesetzlichen Vorkehrungen für die eKlausuren zu schaffen. In Niedersachsen sollte daher bereits frühzeitig an einer Konzeption gearbeitet werden, wie die juristischen Staatsexamen auch in Form von eExamen geschrieben werden können. Eine Orientierung, auch zum finanziellen Aufwand, bieten die ersten positiven Erfahrungen in Sachsen-Anhalt, wo die digitale Examensklausur bereits angeboten wird. Aus unserer Sicht sprechen viele Faktoren für eine digitale statt eine handschriftliche Klausur. Dies wäre auch eine Arbeitserleichterung für die Korrektorinnen und Korrekturen.

Ohne eine Modernisierung der Juristenausbildung kann der Rechtsstaat langfristig nicht handlungsfähig gehalten werden. Die immer öfter festzustellende mangelhafte Leistungsfähigkeit der niedersächsischen Justiz darf kein Bremsklotz bei der Integration von Migranten oder der Entwicklung der Wirtschaft sein. Überlange Strafverfahren unterminieren das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Die Justiz kann aber nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sich engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dafür einsetzen. Umso wichtiger ist es für den Rechtsstaat, für qualifizierten Nachwuchs zu sorgen. Junge Menschen werden aber nur dann ein juristisches Studium aufnehmen, wenn das Studium selbst ansprechend erscheint und der entsprechende Abschluss eine interessante berufliche Perspektive bietet. Die niedersächsische Justiz steht damit in Konkurrenz mit Rechtsanwaltskanzleien, dem öffentlichen Dienst oder größeren Firmen. In diesem Wettbewerb um die besten Köpfe müssen die Perspektiven in der niedersächsischen Justiz deutlich attraktiver werden. Das betrifft sowohl die finanzielle Seite, den Einsatzort, als auch die Arbeitsbedingungen. Eine Unteralimentierung oder verkrustete Behördenstrukturen kann sich die niedersächsische Justiz nicht mehr leisten. Arbeitsplätze müssen modern ausgestattet und Arbeitszeiten flexibel ausgestaltet sein. Eine überbordende Arbeitsbelastung, wie aktuell bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften, durch zu wenig Personal und ineffizienten Abläufen, wirkt auf Berufseinsteiger abschreckend. Insgesamt wird es den Gerichten und Staatsanwaltschaften nur dann gelingen können, mehr qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, wenn sich deutlich mehr junge Menschen überhaupt erstmal auf den Weg an die juristischen Fakultäten machen. Eine attraktivere Ausgestaltung der rechtswissenschaftlichen Studiengänge ist daher unabdingbar.

Die Freien Demokraten in Niedersachsen unterstützen daher die Initiativen aus dem Bundesfachausschuss und setzen sich insbesondere mit den folgenden Forderungen für eine signifikante Verbesserung der juristischen Ausbildung und der Perspektiven in der niedersächsischen Justiz ein:

1. Förderung einer Innovativen Juristenausbildung durch Einführung eines Integrierten Bachelors an Juristischen Fakultäten 

Die FDP Niedersachsen befürwortet die Möglichkeit eines integrierten „Bachelor of Laws“ in Kombination mit dem ersten Staatsexamen. Dabei soll das etablierte System der beiden Staatsexamen, welches als Grundlage für die Zulassung zum Richteramt dient, unverändert bestehen bleiben. Die Vorteile der Einführung eines integrierten Bachelors sind vielfältig. Durch einen integrierten Bachelor haben Studierende, die nicht den traditionellen rechtswissenschaftlichen Weg einschlagen möchten, die Chance, frühzeitig in das Berufsleben einzusteigen, ohne die zeitaufwändige Vorbereitung auf das Staatsexamen absolvieren zu müssen. Dies eröffnet diverse Einsatzmöglichkeiten in Wirtschaft und Industrie sowie der Verwaltung, wie die steigende Nachfrage nach Wirtschaftsjuristinnen und - juristen verdeutlicht. Darüber hinaus trägt der integrierte Bachelor dazu bei, den psychischen Druck im Studium zu verringern, indem er den Studierenden im Falle des endgültigen Nichtbestehens des Staatsexamens eine solide Basis bietet. Ein Bachelor-Abschluss würde die internationale Vergleichbarkeit erheblich erleichtern: Leistungen, die während eines Studiensemesters im Ausland erbracht werden, könnten direkt in das Bachelor-Zeugnis einfließen, da Credits nach internationalem Standard verwendet werden. Langfristig käme die attraktivere und flexiblere Ausgestaltung der juristischen Ausbildung auch dem öffentlichen Sektor zu Gute, da sich grundsätzlich schon mehr junge Menschen für die Aufnahme eines entsprechenden Studiums entscheiden würden.

2. Bundesweite Einführung der Möglichkeit zur Abschichtung in der Staatlichen Pflichtfachprüfung 

Der Begriff „Abschichten" beschreibt die Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsleistungen im Rahmen des ersten juristischen Staatsexamens auf Antrag in zwei oder drei zeitlich getrennten Abschnitten zu erbringen, anstatt alle sechs Klausuren in einem engen zeitlichen Rahmen aufeinanderfolgend abzulegen. Die FDP plädiert dafür, die Möglichkeit zur Abschichtung in allen Bundesländern einzuführen. Dies eröffnet den Studierenden die Möglichkeit, sich die verschiedenen Rechtsgebiete getrennt und gründlich über einen längeren Zeitraum anzueignen.

3. Examensbedingungen verbessern

Die Option eines Verbesserungsversuchs kann Studierende dazu zu ermutigen, das Erste Examen frühzeitig abzulegen. In einigen Ländern ist es nur möglich, den Verbesserungsversuch nach erfolgreichem Bestehen des Freiversuchs zu nutzen. Wir schlagen vor, bundesweit die Möglichkeit einzuführen, den Verbesserungsversuch unabhängig vom Freiversuch zu ermöglichen. Gleichzeitig ist das Justizprüfungsamt so aufzustellen, dass die Prüfungen in einem für die Studenten und Referendare hinnehmbaren Zeitraum abgeschlossen werden können. Dies soll unter anderem durch attraktivere Rahmenbedingungen für die Prüfer erreicht werden.

4. Stärkung der digitalen Kompetenz in der Juristenausbildung

Es muss ein Konzept für die Umsetzung einer digitalen Staatsexamensprüfung in Niedersachsen konzipiert werden. Darüber hinaus ist es notwendig, den Aufbau einer gesicherten Datenaustauschplattform für die digitale Vernetzung von Ausbildungsakten und deren Bearbeitung voranzutreiben und die Durchführung von Online-Unterrichtsveranstaltungen im Rahmen des Vorbereitungsdienstes dauerhaft zu ermöglichen sowie gesetzlich zu verankern. Weitere zeitgemäße digitale Lernprogramme sind zu fördern und zu entwickeln, um die Lehre durch innovative Formate anzureichern. Bis spätestens Anfang 2026 soll mit der E-Akte und der
Etablierung des elektronischen Rechtsverkehrs, ein weiterer Meilenstein bei der Digitalisierung der Justiz abgeschlossen sein. Bereits zu diesem Zeitpunkt müssen genügend Menschen in der Justiz tätig sein, die mit diesen Werkzeugen auch umgehen können. Sie müssen zudem ein Bewusstsein für die Gefahren bei der Digitalisierung, insbesondere was die IT-Sicherheit und den Datenschutz betrifft, haben.

5. Die Justiz modern und attraktiv aufstellen

Die im Vergleich zu anderen Bundesländern und vor allem im Vergleich zum Markt schlechten Einkommensbedingungen in der niedersächsischen Justiz müssen dringend verbessert werden. Berufseinsteiger sollen mittels eines angemessenen Einkommens, aber auch mit der gesellschaftlichen Bedeutung einer Tätigkeit für den Rechtsstaat für die Justiz auf allen Dienstebenen interessiert werden. Fatale Überbelastungen, ohne ausreichende Hilfestellungen oder Unterstützungen, müssen abgebaut werden. Das bedeutet insbesondere, die bereits seit Jahren bekannten Personalengpässe anzugehen und die dafür notwendigen Mittel im Landeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Mit einem Anteil von lediglich 4% am Gesamthaushalt des Landes werden diese Herausforderungen für die Justiz nicht zu bewältigen sein. Dieser Anteil ist dringend zu erhöhen. In der Lebensphase des Berufseinstiegs ist es für viele Bewerber außerdem entscheidend, an welchem Ort sie eingesetzt werden. Eine unklare Einsatzsituation, auch in der Probezeit, soll daher auf ein Minimum beschränkt werden.