Christian Dürr: Der Soli muss weg
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der Stuttgarter Zeitung (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter.
Frage: Herr Dürr, die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Tritt. Wie viel Schuld trägt die Ampelkoalition daran?
Dürr: Die deutsche Wirtschaft steht vor gigantischen Herausforderungen, weil unsere Vorgängerregierungen einen Reformstau hinterlassen haben. Die Große Koalition hat für den Wirtschaftsstandort Deutschland nichts getan. Wir ändern das jetzt.
Frage: Sie regieren seit mehr als zwei Jahren und schuld sind die anderen?
Dürr: Der Einbruch in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren ist darauf zurückzuführen, dass Energie deutlich teurer geworden ist. Auch hier haben wir es mit Fehlentscheidungen früherer Regierungen zu tun, die zur Abhängigkeit von russischem Gas geführt haben. Wir haben ein schweres Erbe angetreten, aber es ist jetzt unsere Aufgabe, eine bessere Politik zu machen. In unserer Regierungsverantwortung haben wir deshalb – bei allem Lärm in der Ampel, der mich oft geärgert hat – einiges erreicht. Mit dem Inflationsausgleichsgesetz haben wir die Bürgerinnen und Bürger um 50 Milliarden Euro entlastet.
Frage: Hat die FDP am Lärm in der Ampel, den Sie kritisieren, nicht selbst einen riesigen Anteil?
Dürr: Da muss sich jeder auch an die eigene Nase fassen, das ist doch klar. Entscheidend ist aber, dass wir jetzt inhaltlich vorankommen müssen.
Frage: Das gelingt Ihnen nicht. Die Union will dem Wachstumschancengesetz der Ampel im Bundesrat nicht zustimmen. Was können Sie ihr anbieten?
Dürr: Ich werde der Union gar nichts anbieten. Ich finde es skandalös, wie sich die CDU unter Führung von Friedrich Merz beim Wachstumschancengesetz verhält. Wenn eine Partei dafür verantwortlich ist, dass eineinhalb Jahrzehnte keine Reformen zugunsten der Wirtschaft gemacht wurden, darf sie jetzt nicht auch noch Steuererleichterungen und Bürokratieabbau blockieren. Das ist fahrlässig.
Frage: Ist das Entlastungsvolumen von etwa drei Milliarden Euro nicht ohnehin viel zu klein?
Dürr: Ich hätte gern ein größeres Entlastungspaket geschnürt, wie Finanzminister Christian Lindner es ursprünglich auf den Weg gebracht hat. Ein kleineres Entlastungspaket ist aber besser als gar keins. Insbesondere den unionsgeführten Ländern war das ursprüngliche Paket zu groß, deshalb sind wir CDU und CSU entgegengekommen. Es enttäuscht mich sehr, dass die Union im Vermittlungsausschuss trotzdem gegen die Entlastungen gestimmt hat. Sie steht jetzt in der Verantwortung, mit uns gemeinsam die ökonomische Lage im Land zu verbessern. Friedrich Merz schreibt gern Briefe zur Wirtschaftspolitik. Handeln ist aber besser als Briefeschreiben. Daran muss sich die Union jetzt messen lassen: CDU und CSU haben vier Wochen Zeit, um den Weg fürs Wachstumschancengesetz freizumachen.
Frage: Haben Sie einen Plan B, wie Sie auch ohne Wachstumschancengesetz Impulse für die Wirtschaft setzen können?
Dürr: Wir müssen möglichst viele Reformschritte gleichzeitig unternehmen, um die Wirtschaft zu entlasten. Wir brauchen das Wachstumschancengesetz und schnelleren Bürokratieabbau. Und: Wir müssen so schnell wie möglich den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen, der längst in erster Linie zu einer Wirtschaftssteuer geworden ist. Durch ihn sind unsere Unternehmen im europäischen Vergleich stark benachteiligt. Der Soli muss weg. Das würde eine Entlastung um zwölf Milliarden Euro im Jahr bedeuten.
Frage: Die Haushaltsplanung für 2025 ist ohnehin schon löchrig. Ihre Koalitionspartner wollen bei einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags nicht mitmachen. Wie wollen Sie eine solche Steuersenkung überhaupt gegenfinanzieren?
Dürr: Es geht darum, Prioritäten im Haushalt zu setzen. Solide Haushalte bekommt man dann, wenn die Wirtschaft funktioniert und die Einnahmen sprudeln. Denkbar wäre eine schrittweise Abschmelzung des Soli. Das würde den Haushalt schonen.
Frage: Stichwort Prioritäten. Große Teile des Etats gehen in die Sozialpolitik. Muss zum Beispiel die Höhe des Bürgergelds noch einmal überdacht werden?
Dürr: Die Art, wie das Bürgergeld berechnet wird, stammt noch aus Zeiten der Großen Koalition. Wir haben, angesichts der hohen Preissteigerungen in der Krise, nur dafür gesorgt, dass der Inflationsausgleich schneller erfolgt als früher. Dem hat auch die Union zugestimmt – auch wenn sie das heute gern verschweigt. An der Höhe des Bürgergelds werden wir schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kaum etwas ändern können, aber ich hielte eine Nullrunde im kommenden Jahr für geboten.
Frage: Also soll beim Bürgergeld alles bleiben, wie es ist?
Dürr: Nein. Wir müssen die Arbeitsanreize beim Bürgergeld verstärken. Wer arbeitet, aber trotzdem auf Bürgergeld angewiesen ist, soll mehr von seinem Lohn übrigbehalten. Wer Arbeit verweigert, muss deutlich spürbare Sanktionen erhalten. Hier haben wir die Regeln gerade verschärft. Wir sollten dringend prüfen, ob hier noch mehr geht – aber auch, wie sich positive Arbeitsanreize noch mal verstärken lassen.
Frage: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat ein Sondervermögen vorgeschlagen, um Entlastungen für Unternehmen zu ermöglichen. Das würde zusätzliche Schulden bedeuten. Diesen Weg schließen Sie kategorisch aus, oder?
Dürr: Ja. Das schließe ich aus. Heute Schulden zu machen, bedeutet, dass morgen die Steuern erhöht werden müssen. Die Schulden kosten uns schon jetzt enorm viel Geld, wir zahlen mit diesem Haushalt 37,5 Milliarden Euro an Zinsen. Überlegen Sie mal, was wir stattdessen mit dem Geld im Bereich Bildung oder Verteidigung tun könnten. Wir müssen die Zinslast drücken. Wir müssen die Wirtschaftswende schaffen und finanzpolitisch seriös bleiben. Dabei geht es um die ökonomische Zukunft unseres Landes – aber auch noch um weit mehr.
Frage: Wie meinen Sie das?
Dürr: Deutschland muss ökonomisch stark sein, damit es auch geopolitisch eine wichtige Rolle spielen kann. Der Grund, warum der Westen im Kalten Krieg über den Warschauer Pakt und die Sowjetunion gesiegt hat, war, dass er wirtschaftlich überlegen war. Wenn wir es nicht schaffen, ökonomisch wieder in die Vorhand zu kommen, riskieren wir auch unser Leben in Frieden und Freiheit. Wir brauchen – das zeigt der russische Überfall auf die Ukraine – mehr Geld, um unsere Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen. Auch im Systemkonflikt mit China ist es wichtig, dass Deutschland, Europa und der Westen ihre volle wirtschaftliche Stärke zurückgewinnen und ausspielen können.
Frage: Sie üben sehr harte Kritik an der Union. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai lobt die Chancen eines schwarz-gelben Bündnisses. Verstehen Sie es, wenn Wählerinnen und Wähler das komplett verwirrt zurücklässt?
Dürr: Bijan Djir-Sarai hat zurecht darauf hingewiesen, dass die CDU uns in Fragen der Marktwirtschaft nahesteht. Das, was mich bei der CDU jeden Tag ärgert, ist, dass sie sagt, sie wolle etwas für bessere Wettbewerbsfähigkeit tun – und dann lässt sie den Worten keine Taten folgen. Friedrich Merz hofft durch taktische Spiele seine Chancen bei der nächsten Bundestagswahl zu verbessern. Es wird Zeit, dass er die Haltung einnimmt: Erst das Land, dann die Partei.