Christian Dürr: Deutschland muss endlich ein modernes Einwanderungsland werden

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem Tagesspiegel (Tagesspiegel.de) das folgende Interview. Die Fragen stellten Maria Fiedler und Valerie Höhne.

Christian Dürr MdB

Frage: Herr Dürr, warum tut sich die FDP schwer, eine klare Linie beim Thema Migration zu finden?

Dürr: Das stimmt nicht. Anders als andere Parteien haben wir eine sehr klare Linie. Wir wollen keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme, sondern eine Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt. Wir haben eine handfeste demografische Krise – an allen Ecken und Enden fehlt Personal. Der Fachkräftemangel gefährdet den deutschen Wohlstand. Deshalb muss Deutschland endlich ein modernes Einwanderungsland werden.

Frage: In Bezug auf die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts – schnellere Einbürgerungen – sendete die FDP aber sehr widersprüchliche Signale.

Dürr: Uns geht es um die richtige Reihenfolge. Die Migrationspolitik der CDU-geführten Bundesregierungen in den letzten Jahren ist gescheitert: Nur einer von zehn Zuwanderern ist über die reguläre Arbeitsmigration gekommen, neun über das Asylsystem. Es ist nicht gelungen, dass Deutschland genug neue Fachkräfte gewinnt. Deswegen wollen wir im ersten Schritt ein modernes Einwanderungsrecht für alle, die hier anpacken wollen. Für diese Menschen muss es leichter werden. Kanada, Australien und Neuseeland sind da unsere Vorbilder. Im zweiten Schritt können die, die hier arbeiten und gut integriert sind, die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Und klar muss auch sein: Wer hierzulande keine Perspektive hat oder sogar gegen Recht und Gesetz verstößt, muss Deutschland wieder verlassen.

Frage: Ihr Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnte vor einer „Entwertung der deutschen Staatsbürgerschaft“. Ist die deutsche Staatsbürgerschaft denn weniger wert, wenn mehr Leute sie haben?

Dürr: Nein. Aber die Bedingungen, unter denen man Deutscher werden kann, müssen stimmen. Wer von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann, in die Sozialversicherungssysteme einzahlt und ein Gewinn für die Gesellschaft ist, kann die Staatsbürgerschaft erlangen. Das ist auch im Interesse der Eingewanderten. Es bringt ja nichts, wenn wir Parallelgesellschaften haben. Das haben wir an der Silvesternacht gesehen. Das war ein Problem der inneren Sicherheit in Berlin, bedingt durch den linken Senat – aber eben auch die Folge einer verfehlten Migrationspolitik.

Frage: Welche Nachbesserungen fordern Sie am Entwurf des Staatsangehörigkeitsrechts der Ampel?

Dürr: Nachbesserungsbedarf sehen wir beim Doppelpass. Wir wollen ihn grundsätzlich erlauben. Aber es braucht den Generationenschnitt. Die doppelte Staatsbürgerschaft darf nicht über viele Generationen vererbt werden. Es ist nachvollziehbar, wenn jemand, der nach Deutschland einwandert, auch die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes behalten darf. Aber echte Integration heißt, dass spätere Generationen nur noch eine Staatsbürgerschaft haben.

Frage: 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland bräuchte Deutschland pro Jahr, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Ist die Bundesrepublik überhaupt attraktiv genug? Die Programmiererin aus Indien geht doch lieber nach Kanada.

Dürr: Deutschland ist grundsätzlich ein attraktives Land. Aber gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir auch ökonomisch wettbewerbsfähig bleiben. Gerade hochqualifizierte Arbeitnehmer überlegen sich genau, ob sie in ein Land gehen, das besonders hohe Steuern erhebt. Deswegen war es so wichtig, dass wir als Bundesregierung den Inflationsausgleich im Einkommenssteuersystem gemacht haben.

Frage: Oft scheitert es doch schon an der Bürokratie. Viele Unternehmer verzweifeln an den deutschen Konsulaten im Ausland: Die Fachkräfte, die sie einstellen wollen, bekommen kein Visum.

Dürr: So ist es. Ich habe kürzlich erst mit einem Unternehmer gesprochen. Er hat einer Fachkraft aus dem Ausland einen Arbeitsvertrag angeboten, aber die wartet seit einem Jahr auf einen Termin, um überhaupt ein Visum beantragen zu können. Auf der Welt gibt es tausende, vielleicht zehntausende von Menschen, denen es so geht. Da ist auch die Bundesaußenministerin gefordert. Annalena Baerbock muss dafür sorgen, dass diese Menschen leichter nach Deutschland kommen können. Die Konsulate müssen schneller, digitaler und unbürokratischer arbeiten. Das würde auch die illegale Migration über die Balkanroute oder das Mittelmeer reduzieren, wenn diejenigen, die sich hier etwas aufbauen wollen, einen legalen Weg nach Europa haben.

Frage: Sie wollen, dass diejenigen, die hier nicht bleiben dürfen, das Land verlassen. Die Ampel hat im Koalitionsvertrag eine „Abschiebeoffensive“ verabredet. Davon war bislang wenig zu merken. Haben wir etwas verpasst?

Dürr: Wir kommen da voran. Die Bundesregierung hat endlich einen Migrationsbeauftragten benannt. Einerseits ist er dafür zuständig zu schauen, welche Menschen ein Interesse daran haben, nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten. Auf der anderen Seite braucht es Migrationsabkommen mit Herkunftsländern zur Rückführung. Zur Wahrheit gehört: Es wird Menschen geben, die hier scheitern. Sie müssen in ihre Heimatländer zurückkehren. Was aber auch nicht geht: Menschen aus dem Arbeitsmarkt abschieben. Das hat die unionsgeführte Bundesregierung jahrelang praktiziert.

Frage: Aus dem Arbeitsmarkt heraus dürfen Menschen also nicht mehr abgeschoben werden?

Dürr: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, wer gut integriert ist und von eigener Hände Arbeit leben kann, wer die deutsche Sprache lernt: Welchen Grund kann es denn geben, diese Menschen abzuschieben? Es gibt aber Zehntausende, die in Deutschland straffällig geworden sind, die hier keine Perspektive haben werden. Die müssen das Land verlassen. Die Menschen in Deutschland sind sehr weltoffen, aber sie erwarten von denjenigen, die hierherkommen, dass sie sich integrieren und arbeiten. Es macht Menschen rasend, dass Einwanderer aus dem Arbeitsmarkt abgeschoben wurden, aber diejenigen, die hätten abgeschoben werden müssen, hiergeblieben sind.