Christian Dürr: Im Fokus stand, dass wir Deutschland wieder erfolgreich machen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Armbrüster.
Frage: Gut zwei Wochen ist es jetzt her, dass die Ampelkoalition geplatzt ist. Aber die Umstände dieser Trennung, die werden in Berlin immer noch aufgearbeitet. Seit dem Wochenende ist vor allem die FDP in der Kritik. Mehrere Zeitungsrecherchen kommen zu dem Schluss, dass die Freien Demokraten den Bruch dieser Koalition schon Wochen vorher geplant und bewusst provoziert haben sollen. Die Operation habe demnach parteiintern den Namen ‚D-Day‘ bekommen. Aus der SPD kommt der Vorwurf, die FDP sei deswegen unzuverlässig. Und in Kommentaren ist schon von einer verlogenen Partei die Rede. Wir wollen das alles besprechen mit dem Fraktionschef der FDP im Deutschen Bundestag, mit Christian Dürr. Schönen guten Morgen, Herr Dürr.
Dürr: Guten Morgen, Herr Armbrüster. Ich grüße Sie.
Frage: Hat die FDP da einen Fehler gemacht?
Dürr: Nein, wir haben uns auf Szenarien vorbereitet, das ist richtig. Und mittlerweile haben ja auch Recherchen ergeben, dass das Sozialdemokraten und Grüne auch getan haben. Die haben sich offensichtlich in Geheimtreffen im Sommer schon unterhalten, auch über eine mögliche Vertrauensfrage. Ich glaube, es ist richtig, dass man sich auf verschiedene Szenarien vorbereitet. Aber Herr Armbrüster, lassen Sie mich eins sagen, was im Zentrum auch unserer internen Debatten stand: Nämlich die Frage, wie wir mit der wirtschaftlichen Situation in Deutschland umgehen. Wir haben eine handfeste Wirtschaftskrise, und darum ging es im Kern. Eine Wirtschaftswende zu erreichen oder, wenn das nicht gelingt, dann zu geordneten Neuwahlen zu kommen. Beides hat ja der Bundeskanzler ausgeschlagen. Weder war er bereit, eine Wirtschaftswende gemeinsam umzusetzen, noch geordnet als Regierung zurückzutreten.
Frage: Zur Wirtschafts- und auch zur Finanzpolitik habe ich gleich noch ein, zwei Fragen. Aber zunächst nochmal hier zu dem Vorgehen. Es gibt ja doch einen großen Unterschied zwischen Szenarien, die man bespricht und dem Umstand, dass man sich darauf verständigt, dass man mit bestimmten Aktionen diese Ampel torpediert und an einen Punkt bringt, wo sie auseinanderbrechen muss, dass man so etwas inszeniert und ausgeklügelt vorbereitet. Und dieser Vorwurf steht jetzt gegen Sie im Raum.
Dürr: Ja, aber es ist nicht richtig. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Uns geht es darum, in verschiedenen Szenarien zu denken und professionell vorbereitet zu sein. Das haben andere auch getan, und das ist auch legitim. Es ist gut, vorbereitet zu sein auf verschiedene Szenarien, denn es geht immerhin um unser Land, wie vorhin schon gesagt, um die wirtschaftspolitische Ausrichtung. Da hat die Koalition keine Gemeinsamkeiten mehr gefunden. Aber ich will sagen: Wenn Sie mich vor drei Wochen gefragt hätten, ob der Bundeskanzler in seiner vom Teleprompter abgelesenen Wutrede, Frau Esken oder Herr Klingbeil so nach einem Koalitionsbruch mit Dreck um sich werfen, dann hätte ich die drei sicherlich in Schutz genommen. Ohne jeden Zweifel. Und ich habe mich im Nachhinein gefragt, ob jetzt so wirklich ein Wahlkampf aussehen soll. Ja, professionelle Vorbereitung ist wichtig, insbesondere, weil im Sommer klar war, dass es der Ampel an Gemeinsamkeiten fehlt. Und die Berichterstattung auch in den Wochen im Sommer, das wissen Sie auch, weiß die Öffentlichkeit, hat ja auch immer wieder darauf hingedeutet: Schafft es diese Koalition noch? Insofern war es richtig, dass man sich vorbereitet. Das haben offensichtlich alle drei Partner getan. Uns ging es darum, eine Wirtschaftswende zu erreichen oder eben auch vorbereitet zu sein für genau diesen Fall, dass das nicht funktioniert. Und dann hat ja Christian Lindner als Finanzminister seinerzeit den Kanzler vorgeschlagen, geordnet zu Neuwahlen zu kommen. Das wäre auch besser gewesen, als dann die Debatten über Papiermangel und Ähnliches, die wir erlebt haben, in den letzten zwei Wochen zu haben.
Frage: Das heißt, Herr Dürr, es stimmt nicht, dass sich die Spitzenvertreter ihrer Partei nach den drei Landtagswahlen – die ja für Sie desaströs ausgegangen sind – getroffen haben und dieses Auseinanderbrechen der Koalition sozusagen vorbereitet haben. Das ist unwahr?
Dürr: Nein, Herr Armbrüster. Ich habe es ja schon erläutert. Es war übrigens weit vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Weit davor haben wir uns miteinander unterhalten, wie wir es schaffen, eine Wirtschaftswende für Deutschland zu erreichen, um welche Punkte es gehen muss in der Sache. Wir reden von wahrscheinlich hunderten Stunden, die übrigens, diese Treffen, das machen alle Parteien in Koalitionen intern, um sich abzusprechen. Was sind wichtige Punkte? Welche Punkte müssen durchs Bundeskabinett? Welche Punkte müssen vom Bundestag beschlossen werden? Da haben ja einige SPD-Ministerien auch teilweise blockiert. Das war alles Thema, um eine Wirtschaftswende zu erreichen. Das war im Fokus. Und selbstverständlich haben wir uns getroffen und auch intern über Szenarien gesprochen. Das gehört zur Professionalität dazu. Und ich wiederhole mich, andere haben das richtigerweise auch getan. Und dann geht es um die Frage – und da kamen wir im Koalitionsausschuss zusammen – kann man das gemeinsam umsetzen? Und als dann der Bundeskanzler – ich will Sie nur kurz abholen, wie das im Koalitionsausschuss an dem Abend war – sagte: ‚Nein, also mit uns gibt es keine echte Wirtschaftswende. Stattdessen erwarten wir von der FDP, dass sie im kommenden Jahr die Schuldenbremse bricht.‘ Dann konnte das ja nicht nur keine Option für die FDP sein, sondern ich glaube, es wäre auch keine Option für Deutschland gewesen.
Frage: Ich glaube, diese Informationen sind bekannt. Was ich mich tatsächlich frage, ist – und ich glaube, viele Menschen, die die Berichte in den letzten Tagen gelesen haben: Sie sagen also, es hat kein Treffen gegeben, bei denen verabredet wurde ‚Wir bringen diese Koalition zu diesem bestimmten Zeitpunkt zum Platzen und wir arbeiten mit diesen Mitteln darauf hin?‘ Solche Verabredungen hat es in der FDP nicht gegeben, sagen Sie. Ist das korrekt?
Dürr: Ich wiederhole mich nochmal, Herr Armbrüster, wir haben in Szenarien gedacht, weil ja die Frage im Raum stand: Sind Sozialdemokraten, insbesondere der Bundeskanzler und Grüne, bereit, auf Reformpläne einzusteigen? Echte Reformpolitik zu machen, wo auch jeder über seinen Schatten springt. Und dann denkt man selbstverständlich in verschiedenen Szenarien nach. Aber sehen Sie mir nach, dass ich mich an dieser öffentlichen Debatte über einzelne Indiskretionen nicht beteilige. Ich war ja oftmals mit dabei. Ich berichte nicht aus internen Sitzungen. Ich sehe natürlich, dass Koalitionspartner das offensichtlich anders handhaben. Aber das schiebe ich mal beiseite. Das ist verschüttete Milch. Was die Menschen doch interessiert, ist, was haben Parteien im Kopf gehabt, was mit dem Land passieren muss, damit wir wieder wirtschaftlich erfolgreich sind? Deswegen, lassen Sie mich das gerne noch einmal unterstreichen. Das war im Hauptfokus auch der internen Diskussion.
Frage: Ich glaube, das haben wir tatsächlich verstanden. Ich würde es dann, man kann es ja ganz, ganz einfach sagen. Sie können einfach antworten mit ‚Ja‘, ‚Nein‘ oder ‚Ich möchte nicht dazu antworten‘. Deshalb einfach noch mal die Frage: Hat es diese Verabredung auf ein bestimmtes Platzen der Koalition zu einem bestimmten Stichtag gegeben? Man mit ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ antworten.
Dürr: Verabredungen ist das falsche Wort an der Stelle. Wir haben in Szenarien gedacht, ausdrücklich in Szenarien gedacht. Wie auch Koalitionspartner reagieren wir auf das, was inhaltlich in der Sache vorschlagen wurde. Ich würde mutmaßen, und es wäre nur professionell, wenn andere Parteien, auch andere Koalitionspartner, das genauso getan haben. Ich berichte nicht aus internen Sitzungen. Das habe ich nie getan, insbesondere während der Koalitionsarbeit, wo ja viel auch die Ampel öffentlich in der Kritik stand. Ich habe mich da immer bewusst zurückgehalten, weil ich wollte, dass das Projekt am Ende erfolgreich ist. Aber am Ende waren wir an einem Punkt, wo es wirklich wirtschaftlich schwierig war. Im Sommer war doch klar, dass die wirtschaftliche Lage sehr schwierig ist. Im Herbst wurde es noch deutlicher, und das war Gegenstand der internen Besprechungen. Und es war auch die Frage, wie die Koalitionspartner darauf reagieren. Das war für mich im Fokus. Und im Ziel war vor allen Dingen diese Wirtschaftswende, von der ich sprach, für Deutschland zu erreichen.
Frage: Und welche Rolle haben bei diesen Überlegungen Ihre miserablen Wahlergebnisse bei den letzten Landtagswahlen gespielt?
Dürr: Die Wahlergebnisse sind das eine. Es ja auch ein Stück weit nicht nur um die Freien Demokraten an der Stelle, sondern auch um SPD und Grüne, was die Wahlergebnisse betrifft. Ich bin mir sicher, die Wahlergebnisse sind auch in anderen Parteien analysiert worden. Das sind interne Besprechungen, die zurecht laufen und die auch mit Professionalität zu tun haben, da auch Konsequenzen daraus zu ziehen, was das für die eigene Regierungsarbeit bedeutet. Aber im Fokus stand und das sieht man ja auch an dem Vorschlag für eine Wirtschaftswende von Christian Lindner, im Fokus stand ja, dass wir Deutschland wieder erfolgreich machen. Das war für mich immer im Fokus. Und darüber haben wir natürlich intern gesprochen.
Frage: Gut, Sie haben jetzt mehrmals das Stichwort Szenarien genannt. War möglicherweise ein Szenario, dass Sie gesagt haben, wir bringen dieses Papier zur Wirtschaftswende ein in die Koalition, und damit lassen wir diese Koalition platzen. Damit sprengen wir sie.
Dürr: Wie hätte das denn funktionieren sollen, wenn die Partner gesagt hätten, ,Jawohl, wir teilen vielleicht nicht alles.‘ Und Christian Lindner hat im Koalitionsausschuss ja ausdrücklich angeboten, darüber zu sprechen. Also nicht apodiktisch gesagt ,Das muss kommen‘, sondern ,Lasst uns über diese Punkte sprechen‘. Das waren ja Punkte, Herr Armbrüster, ich will das nur kurz in Erinnerung rufen, von denen die deutsche Wirtschaft, die Unternehmen, die Mittelständler, da geht es um Millionen von Jobs am Ende. Wir sehen ja, wie zurzeit Arbeitsplätze in Deutschland unter Druck sind, dass die gesagt haben, ,Jawohl, das sind Punkte‘, ist sogar öffentlich gesagt worden, ,die sind richtig, die brauchen wir jetzt, um wieder auf Wachstumspfad zu kommen, damit Menschen wieder Lebenschancen haben‘. Also wir hatten natürlich die Hoffnung, dass Koalitionspartner sagen: ‚Wir steigen darauf ein.‘ Und teilweise sah es in der Woche, in der die Koalition dann am Mittwochabend zu Ende ging, für mich auch so aus, dass es da Möglichkeiten gibt. Dass dann der Bundeskanzler so apodiktisch verlangt, die Schuldenbremse zu brechen, offen gestanden, Herr Armbrüster, damit habe ich nicht gerechnet.
Frage: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Christian Dürr, der Fraktionschef der FDP im Deutschen Bundestag. Herr Dürr, Vielen Dank für Ihre Zeit.
Dürr: Ich danke Ihnen.