Die Küste übernimmt Verantwortung - Sofortmaßnahmen für die Versorgungssicherheit in Deutschland

Beschluss des 73. Ordentlichen Bundesparteitags der Freien Demokraten.

(vorbehaltlich der Überprüfung des Wortprotokolls)

Eine starke und robuste Wirtschaft ist die Voraussetzung dafür, vergleichsweise glimpflich durch eine Krise zu kommen. In der Pandemie sowie dem bisherigen Krieg in der Ukraine konnten wir uns bei wichtigen Entscheidungen der starken Schultern der deutschen Wirtschaft bewusst sein. Aber auf Bestehendem darf sich nicht ausgeruht werden. Wir müssen Bewährtes stärken und Neues aufbauen, um auch zukünftige Herausforderungen meistern zu können. Die Küste kann hier eine besondere Verantwortung übernehmen.

An der deutschen Küste gilt es, bundesweit bedeutsame Potenziale zu nutzen und Chancen für die Versorgungssicherheit der gesamten Bundesrepublik zu ergreifen. Nicht erst, aber in besonderer Weise, seit der Verschiebung der sicherheits- und energiepolitischen Weltordnung durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spielt die Küste eine mindestens nationale Schlüsselrolle bei der Förderung und dem Import fossiler Energieträger, bei der Erzeugung, Anlandung und Nutzbarmachung erneuerbaren Stroms und als Infrastruktur-Drehkreuz für Energie und Mobilität. Diese Schlüsselrolle gilt es, angesichts der zu erwartenden, dramatischen strukturellen Veränderungen weiter zu entwickeln, zu stabilisieren und im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft zu sichern.

Indem wir die vorhandenen Potenziale nutzen, wird die Energieküste als zukunftsgerichteter Technologie-, Produktions- und Forschungsstandort zu einer Vorbildregion für eine nachhaltige Wirtschaft. Auf dem Weg zu einem modernen und nachhaltigen Wirtschaftsstandort Deutschland wird die Küste zum Motor für das ganze Land. Die Maßnahmen liegen auf dem Tisch. Es darf nicht länger gewartet werden. Wir müssen dringend jetzt handeln – entschlossen und effizient.

 

Gas- und Ölförderung

Die Erschließung eigener Reserven an fossilen Energieträgern ist ein unerlässlicher Baustein bei der zukünftigen Vermeidung von Energie- Abhängigkeiten und bei der Abfederung einer galoppierenden Energiepreisentwicklung für Verbraucher und Wirtschaft. Grundsätzliche und politisch motivierte Verbote der Erschließung von Gas- und Ölfördermöglichkeiten in der deutschen AWZ und dem Küstenmeer lehnen wir ab, denn sie konterkarieren die vielfältigen Bemühungen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Die in Deutschland herrschenden extrem hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards zeigen, dass Förderungen auch in sensiblen Gebieten sicher möglich sind.

Selbstverständlich müssen individuelle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt werden, es ist aber auch zum staatlichen Auftrag zu zählen, die Erfüllbarkeit dieser Voraussetzungen aktiv zu unterstützen und zu befördern. Die Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit Energie und Wärme lässt sich hier in Übereinstimmung bringen mit besseren Förderbedingungen und damit dem Schutz der Umwelt. Ökologische und ökonomische Interessen gehen hier Hand in Hand.

 

LNG-Terminals

Der Import von LNG wird zur Versorgungssicherheit Deutschlands beitragen und die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland reduzieren. Dafür braucht es private Importterminals, die perspektivisch nicht nur für LNG, sondern auch für andere Produkte auf Wasserstoffbasis (zum Beispiel Ammoniak) genutzt werden können. Um so viel wie möglich privates Kapital für den Aufbau dieser Infrastruktur zu generieren, müssen wir durch reduzierte Netznutzungsentgelte und geringe finanzielle Hürden einen Businesscase für die Betreiber ermöglichen. Die geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade, und kleinere Anlagen wie in Rostock, sind ein richtiger erster Schritt. Der Abschluss erster Verträge mit großen Kunden bestätigt den Bedarf einer solchen Infrastruktur. Gleichzeitig müssen die jetzt nötigen Maßnahmen mit den mittel- und langfristigen Plänen der Küstenregionen zur Energiewende harmonisiert und entsprechend integriert werden. Die kurzfristig nötigen Projekte müssen zu den langfristigen Projekten passen und auf zukünftige Innovationen ausgerichtet sein. Beim Import von LNG nach Deutschland ist aber auch auf eine bestmögliche Diversifizierung der Lieferbeziehungen zu achten, um keine neuen einseitigen Abhängigkeiten zu schaffen.

Weitere Standorte für LNG-Terminals sollten ergebnisoffen geprüft werden.

Für die Regulierung der Anschlüsse der LNG-Terminals ist entscheidend, dass eine gute Lösung für die Vergütung der Einleitung ins Gasnetz gefunden wird. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Vergütung hierfür durch eine Einbeziehung im Rahmen der Vergütungsstruktur des Gasnetzes erfolgt.

Für die schnelle Reduktion der Gasimporte aus Russland braucht Deutschland bis zum Bau von LNG-Terminals sogenannte Floating Storage and Regasification Units (FSRUs). Wir unterstützen aktiv die Kontrahierung dieser Schiffe und wollen schnellstmöglich mehrere Einheiten an das deutsche Gasnetz anschließen. Bei der Standortauswahl ist es wichtig, dass mit der Verteilung über die Nord- und Ostseeküste die Versorgungssicherheit im gesamten Gasnetz erhöht wird.

Die Kontrahierung der FSRUs soll so ausgestaltet sein, dass sie keine negativen Anreize für den Bau von LNG-Terminals beinhaltet.

Der Bau von LNG-Terminals dient der Daseinsvorsorge, dies muss von staatlicher Seite unterstützt und beschleunigt werden. Neben der finanziellen Beteiligung des Bundes ist die Möglichkeit der Legalplanung für LNG-Terminals und ähnliche Anlagen wie das in Brunsbüttel und Rostock vorgesehene Ammoniak-Terminal in Betracht zu ziehen. Es braucht zudem eine Reduzierung des Rechtsmittelverfahrens auf eine Klageinstanz, die sofortige Vollziehbarkeit des Baurechts sowie eine Vereinfachung und Beschleunigung der Umweltverträglichkeitsprüfungen. Zur schnellstmöglichen Verbesserung unserer Versorgungssicherheit muss alles in Betracht gezogen werden, um die LNG-Terminals ähnlich schnell und pragmatisch zu realisieren wie den Bau von Teslas Gigafactory in Brandenburg.

LNG trägt als Brückentechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität zu einer deutlichen Emissionsreduzierung bei, gerade in der Schifffahrt. Die Nutzung von LNG muss daher dort, wo es sinnvoll ist, attraktiver werden, zum Beispiel durch einen Umwelt- und LNG-Rabatt bei den Lots-, oder Befahrensgebühren von Bundeswasserstraßen wie dem Nord-Ostsee-Kanal. Um in der Schifffahrt den Umstieg von Schweröl auf LNG zu unterstützen, braucht es des Weiteren bundeseinheitliche Vorgaben zur Bunkerung und Betankung.

 

Gasspeicher

Mit dem Gesetz für Mindestfüllstände bei Gasspeichern hat der Deutsche Bundestag eine wichtige Grundlage geschaffen, um die Reservehaltung von Gas in den verbrauchsintensiven Wintermonaten sicherzustellen. Damit die deutsche Gasversorgung jederzeit sichergestellt ist, müssen weitere Schritte folgen. Eine Eigentümerstruktur, die die Eigentumsrechte an kritischer Infrastruktur nicht gegen die deutschen Interessen missbraucht, ist dabei sicherzustellen.

Da mit den bestehenden Speicherkapazitäten ohnehin nur eine theoretische Gasreserve von etwa einem Viertel des Jahresbedarfs in Deutschland möglich ist, dürfen die Fragen der Versorgungssicherheit nicht auf die Füllstände der bestehenden Speicher reduziert werden. Wenn die Kapazität aller deutschen Gasspeicher nicht einmal in der Lage ist, den jährlichen Bedarf außerhalb der Heizperiode abzudecken, liegt die Notwendigkeit zur Schaffung weiterer Speicherkapazitäten auf der Hand. Auch wenn beim Gasbezug unter anderem durch LNG-Importe mittel- bis kurzfristig eine starke Diversifizierung zu erwarten ist, ist die deutliche Steigerung von Speicherkapazitäten energiepolitisch angezeigt. Im Zuge der fortschreitenden Energiewende können diese Speicher eine wichtige Pufferfunktion erfüllen, die vor allem auch in einer dekarbonisierten, molekülneutralen Energieversorgung und zur Schaffung einer Wasserstoffwirtschaft eine Rolle spielt.

Eine sofortige Potenzialanalyse zur Errichtung neuer Kavernenspeicher und die unbedingte politische Unterstützung dieser Projekte sind deshalb angezeigt. Die Bundesregierung sollte einen sofortigen Rückbaustopp vorhandener, in Rückbau befindlicher Gasspeicher einleiten. Auch die Schaffung oder Reaktivierung von in der Vergangenheit stillgelegten Röhrenspeichern kann die Speicherkapazität für Gas in Deutschland schnell erhöhen. Dazu darf die Nutzung von Speichern durch die Gasnetzbetreiber regulatorisch nicht weiterhin schlechter gestellt werden als der Netzausbau, dies ist zum Beispiel über eine Anpassung beim Effizienzvergleich in der Anreizregulierungsverordnung zu erreichen.

 

Wasserstoff

Der Schaffung einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft wurde mit den Erkenntnissen der Ukraine-Krise eine weitere Bedeutung hinzugefügt: Sie kann neben der marktwirtschaftlich organisierten Dekarbonisierung zur Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens auch ein belastbarer Baustein der Reduzierung und Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen sein.

Dabei ist die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft für uns weder Technologieentscheidung noch Selbstzweck. Vielmehr gilt es, die regulatorischen und planungsrechtlichen Hürden für Wasserstoffproduktion, -transport und - verteilung soweit abzusenken, dass sich eine Wasserstoffwirtschaft diskriminierungsfrei entwickeln kann. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann die positive Klimabilanz von Wasserstoff ihre Vorteile im Wettbewerb ausspielen. Dazu gehört, dass über eine Anpassung der Gasnetzregulierung eine Molekülneutralität im bereits vorhandenen und ggf. auszubauenden Gasnetz derart geschaffen wird, dass alle erforderlichen Anpassungen des Netzes an die Aufnahme und Beimischung von Wasserstoff als „dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten“ im Sinne der Anreizregulierungsverordnung gewertet werden.

Als Industrieland mit begrenzten Flächenressourcen wird Deutschland auch in der Zukunft Energie, auch in Form von Wasserstoff, importieren müssen. Selbst wenn eine Schaffung struktureller Überkapazitäten von erneuerbarer Energie, die vom Stromnetz nicht aufgenommen werden können, zur Umwandlung in grünen Wasserstoff genutzt würde, wird Deutschland ein Energieimportland bleiben. Ebenso wie das Netz, müssen deshalb alle notwendigen Schritte zur Molekülneutralität auch bei der Importstrategie von Wasserstoff mitgedacht und bei den geplanten deutschen LNG-Terminals berücksichtigt werden (s.o.).

 

Offshore

Die deutsche Küste ist ein idealer Standort für Offshore-Windenergie. Diese Potenziale müssen genutzt werden, indem die Kapazitäten massiv gesteigert werden. Neben der deutlichen Anhebung des Offshore-Deckels müssen Anreize für neue Anlagen verbessert und der Zubau erleichtert werden. Damit verbunden braucht es einen Multi-Use-Ansatz, sodass innerhalb eines Windparks auch Fischerei und Aquakultur betrieben werden kann.

Umweltverträglichkeit und Artenschutz sind wichtig. Sie dürfen aber nicht höher priorisiert werden als das Schutzgut Mensch. Daher muss Offshore Vorrang vor Onshore haben. Um die Umweltverträglichkeit zu erhöhen, müssen aber auch neue Verfahren in Betracht gezogen werden. So wie in Schottland kürzlich die bisher weltweit größte Auktion für Floating-Offshore (schwimmende Windkraft) durchgeführt wurde, ist dies auch für die deutschen Gewässer in Betracht zu ziehen.

Neben der direkten Netzanbindung von Offshore-Anlagen an das Festland ist die Schaffung künstlicher Inseln zur Sammlung und Speicherung der Windenergie notwendig. Dadurch lassen sich lange Seekabelleitungen vermeiden. Stattdessen kann vor Ort Wasserstoff erzeugt und gegebenenfalls zu Folgeprodukten wie synthetischen Kraftstoffen verarbeitet werden. Um solche innovativen Verfahren und neuen Technologien zu ermöglichen, wollen wir diese künstlichen Inseln als Experimentierräume gestalten: Mit schlanken rechtlichen Vorgaben und Raum zur Erprobung. Neben künstlichen Inseln kann die Nordseeinsel Helgoland zum Wasserstoff-Hub werden.

 

Notwendige begleitende Infrastrukturmaßnahmen

Deutschlands Versorgungssicherheit und neue wirtschaftliche Dynamik kann aber nicht nur auf den hier genannten energiepolitischen Maßnahmen fußen. Damit die Kraft der Küste auf das ganze Land ausstrahlen kann, brauchen wir eine moderne Infrastruktur zur Anbindung des Nordens an den Rest der Republik. Dies betrifft alle Infrastrukturbereiche, damit der Motor des Nordens richtig zum Laufen gebracht wird.

Die wohl wichtigste Maßnahme ist der Weiterbau der Autobahn A 20 von Bad Segeberg in Schleswig-Holstein bis nach Westerstede in Niedersachsen inklusive Elbquerung, wodurch erstmals eine leistungsfähige Ost-West-Achse in Norddeutschland geschaffen wird, die zugleich die maritime Wirtschaft durch die straßenseitige Verbindung der deutschen Seehäfen stärkt. Gleiches gilt für die sogenannte Hafenquerspange. Wir wollen dieses zentrale Projekt des Bundesverkehrswegeplans daher priorisiert umsetzen und dafür alle möglichen Beschleunigungsmaßnahmen in Betracht ziehen. So muss unter anderem geprüft werden, ob für einzelne Abschnitte Baurecht durch Gesetz (Legalplanung) möglich ist.

Es muss aber nicht nur auf der Straße vorangehen: Wir brauchen die zügige Verbesserung der Schienenanbindung der Industriestandorte entlang der Küste. Dies beinhaltet vor allem auch die Elektrifizierung der Bahntrassen, um Güterverkehre emissionsfrei gestalten zu können. Wir brauchen zudem leistungsfähige Bundeswasserstraßen mit zuverlässigen Schleusen. Denn die Küste wird ihre volle Leistungsfähigkeit nur mit einer starken maritimen Infrastruktur abrufen können. Vor allem müssen auch die Strom- und Gasnetze so ausgebaut und ertüchtigt werden, dass die Energieträger auch problemlos ins Land verteilt werden können. Dafür muss die Infrastruktur auch H2-ready und für Produkte wie LNG nutzbar sein.

Für alle Vorhaben gilt: Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden. Wir wollen eine moderne und frühzeitige Bürgerbeteiligung, zum Beispiel durch die vermehrte digitale Auslegung von Planungsunterlagen. Darüber hinaus braucht es umgehend die Einführung einer Stichtagsregelung, die Ausweitung der Legalplanung, wo möglich und angebracht eine Verkürzung der Klageinstanzen sowie die Wiedereinführung der materiellen Präklusion in Verbindung mit einer Beteiligungspflicht von Verbänden. Dabei müssen alle Maßnahmen für alle Verkehrsträger und Infrastrukturbereiche gelten. Es darf nicht sein, dass Regelungen ausschließlich für vermeintlich „gute“ Vorhaben gelten.

 

Strompreiszone Küste

Auch wenn der Netzausbau derzeit noch der volkswirtschaftlich günstigste Weg ist, den Strombedarf mit der Stromproduktion zu synchronisieren, sind die Kosten, den erneuerbar erzeugten Strom vom windhöffigen Norden in die Verbrauchszentren Süddeutschlands zu transportieren, enorm. Das derzeitige Marktdesign verhindert aber, dass sich räumliche Knappheiten in den Strompreisen widerspiegeln. Die Deutschlandweit einheitliche Gebotszone suggeriert, dass es keine Netzengpässe gibt und der an der Börse gehandelte Strom jederzeit an jedem Ort verfügbar ist. Dies führt angesichts des wachsenden Anteils dezentraler und volatiler Erzeugung aus erneuerbaren Energien zu steigendem Bedarf an Netzausbau und Engpassmanagement durch die Netzbetreiber. Marktakteure erhalten bislang keine Preissignale, die ein systemdienliches Verhalten anreizen könnten. Der Strompreis muss daher künftig auch die räumliche Dimension abbilden. Langfristig ist daher der Übergang von einheitlichen Strompreiszonen hin zu einem nodalen Preissystem notwendig, bei dem sich der Strompreis im gesamten EU-Binnenmarkt nach Netzknotenpunkt bildet. Auf dem Weg dorthin halten wir an einer einheitlichen Strompreiszone im Prinzip fest, müssen aber neben dem beschleunigten Netzausbau zunächst die Netzentgeltsystematik so weiterentwickelt werden, dass auslastungsorientierte Netzentgelte die räumlichen Engpässe signalisieren. Damit wird der die Küste gestärkt, ein Anzreiz geschaffen Netzengpässe abzubauen und gleichzeitig der Süden Deutschlands nicht geschwächt.